Einfach, weil's wichtig ist.
Einfach, weil's wichtig ist.
Digitalisierung & Technologie, 27. Februar 2023
Generative-KI-Tools wie ChatGPT oder Bard von Google stellen derzeit alles in den Schatten und haben auch uns bei //next schon zu manchem Selbstversuch verleitet. Im Vergleich zu vielen anderen Hypes ist dieser jedoch mehr als gerechtfertigt – denn die Wahrscheinlichkeit, dass wir hier den Beginn einer neuen digitalen Entwicklungsstufe erleben, ist sehr hoch.
Technologietrends lassen sich grundsätzlich in drei Kategorien einteilen. Es gibt die, die lange als Trend gehandelt werden und dann ewig brauchen, bis wir etwas damit anfangen können. Das Internet der Dinge (IoT) ist ein gutes Beispiel dafür. Lange wurden uns intelligente Kühlschränke versprochen, die sich selbst auffüllen. Heute können wir von unterwegs immerhin schon mal das Licht und die Heizung im Haus anschalten, damit es hell und warm ist, wenn wir nach Hause kommen.
Dann gibt es Trends, die wir sofort nutzen können, wenn wir Zugang dazu haben, die aber oft genauso schnell wieder verschwinden, wie sie gekommen sind. Wir erinnern uns sicher noch an Clubhouse.
Es gibt aber noch eine dritte Kategorie von Trends. Hier erreichen Entwicklungen zumindest gefühlt plötzlich eine neue Qualitätsstufe und wir fragen uns, warum es das nicht schon früher gab und was wir vorher ohne diese Technologie gemacht haben. Ein prominentes Beispiel ist das iPhone, mit dem Apple endgültig den Sprung vom Handy zum Smartphone geschaffte.
Auch KI-Tools fallen in diese Trendkategorie.
Mit ChatGPT erleben Anwendungen aus dem Bereich den Generativen KI gerade ihren eigenen iPhone-Moment. So wie es vor dem iPhone bereits erste Smartphones gab, sind auch diese Tools nicht gänzlich neu. Tatsächlich verrichtet KI schon seit einigen Jahren viele Arbeiten, ohne dass wir uns dessen immer bewusst sind. So würden wir Facebook oder LinkedIn ohne KI-Algorithmen kaum wiedererkennen und moderne Smartphones würden uns ohne KI-basierte Gesichtserkennung nicht erkennen. Auch in vielen Autos nehmen uns intelligente Assistenzsysteme immer mehr Arbeit ab und bewahren uns vor Gefahren. All diese KI-Anwendungen haben eines gemeinsam: Gibt man ihnen eine Aufgabe, die außerhalb ihrer Programmierung und ihres Trainings liegt, versagen sie schon bei einem geringen Schwierigkeitsgrad.
Ursprünglich definierte die Wissenschaft die Künstliche Intelligenz als die Fähigkeit einer Maschine, menschliche Fähigkeiten wie logisches Denken, Lernen, Planen und Kreativität zu imitieren. Heute unterscheiden wir zwischen „starker KI“, bei der ein intelligentes Computersystem nicht mehr vom menschlichen Verstand zu unterscheiden ist und „schwacher KI“, bei der Algorithmen nach einem Training ganz bestimmte Aufgaben übernehmen können. Alle bisher bekannten KI-Anwendungen sind schwache KI.
Der Unterschied, den vor allem ChatGPT jetzt macht, ist die aktive Teilnahme. Wir können dieses KI-Tool ganz einfach selbst ausprobieren und seine erstaunlichen Fähigkeiten aktiv erleben. Damit hat ChatGPT einen neuen Meilenstein in der Marktdurchdringung erreicht: Innerhalb von nur fünf Tagen wurde die Marke von einer Million Nutzer:innen durchbrochen. Der bisherige Rekord lag bei Instagram mit 75 Tagen. Nach nur zwei Monaten hatte ChatGPT bereits 100 Millionen aktive Nutzer:innen im Monat.
Im März 2023 hat Open AI die Weiterentwicklung GPT-4 gelauncht: https://openai.com/product/gpt-4
Grundsätzlich benötigen Werkzeuge der Generativen KI zunächst eine möglichst große Datenmenge, aus der sie später Muster erkennen und reproduzieren können. Je größer die Datenmenge, desto größer ist am Ende die Wahrscheinlichkeit, passende Antworten auf unsere Fragen zu finden. Damit eine KI jedoch sinnvolle Zusammenhänge zwischen ihrer Datenbasis und unseren Anforderungen (Prompts) herstellen kann, ist ein intensives Training notwendig.
ChatGPT als derzeit prominentestes KI-Tool setzt auf das Large Language Model GPT-3 als Datenbasis. GPT steht für „Generative Pretrained Transformer“ und beschreibt die Funktion bereits treffend: Es geht um das Generieren von Texten aus einer vortrainierten Datenbasis.
Der ChatGPT-Anbieter OpenAI stellt das Training vereinfacht in drei Schritten dar.
Das datenbasierte Training ist der aufwändigste Teil, da hier menschliche Trainer den Lernprozess steuern. Dieser Schritt hat sich als sehr wichtig erwiesen, auch wenn KI-Systeme mittlerweile durchaus selbstständig lernen können. Dies bedeutet jedoch einen gewissen Kontrollverlust, wie öffentliche KI-Experimente in der Vergangenheit gezeigt haben.
So musste Microsoft 2016 einen KI-Chatbot namens „Tay“ bereits nach wenigen Stunden wieder abschalten. Er sollte als weiblicher Avatar auf Twitter lernen, wie Jugendliche kommunizieren. Doch das ging gründlich nach hinten los, denn der selbstlernende Bot wurde schnell zum „rassistischen Scheusal“.
Bei ChatGPT setzt OpenAI daher in den ersten beiden Trainingsschritten auf „Supervised Learning“, das als überwachtes Lernen eine bessere Kontrolle bietet. Außerdem wurde die KI speziell darauf trainiert, ihre Antworten als Teil einer Konversation zu formulieren. Der Bot erinnert sich an frühere Fragen und kann so einen realistischeren Gesprächsverlauf imitieren.
Seit ChatGPT kostenlos getestet werden kann, gibt es grundsätzlich zwei Lager unter den Testern. Die einen bewerten die Möglichkeiten bereits jetzt als herausragenden Entwicklungsschritt und wollen das Tool in Zukunft flächendeckend für alle Textarbeiten einsetzen. Der andere Teil der Tester ist deutlich skeptischer und verweist auf die begrenzte Datenbasis (bis 2021), immer wieder auftretende Fehler oder mangelnde Textqualität bei immer gleichen Strukturen.
Wie so oft ist die Mitte zwischen den Extremen eine vernünftige Einschätzung. Mit einer möglichst guten Aufforderung (Prompt) lassen sich mit ChatGPT durchaus gute Ergebnisse erzielen. Wie bei der Beauftragung menschlicher Autoren gilt auch hier, dass die Qualität des Briefings entscheidend für die Qualität der Ergebnisse ist. Wir müssen uns also nach wie vor sehr genau überlegen, welchen Text wir eigentlich haben wollen.Einen wichtigen Aspekt sollten wir dabei immer im Hinterkopf behalten: KI-Tools der heutigen Generation produzieren erstaunliche Inhalte, aber sie „verstehen“ nicht, was sie uns liefern. Sie erkennen und reproduzieren Muster, nicht mehr und nicht weniger. Das bedeutet zum Beispiel, dass eine Fehlinformation zu einem Muster werden kann, wenn sie oft genug in der Datenbank vorkommt.
Darüber hinaus sind noch einige rechtliche Fragen zu klären. Allein die Frage der Urheberschaft muss aus verschiedenen Perspektiven betrachtet werden. So wird ein KI-Tool nicht als Urheber anerkannt, da unser Urheberrecht nur menschliche Urheber kennt. Zudem stellt sich die Frage, wie es sich rechtlich mit Data Mining verhält.
In den USA ist dazu bereits der erste Prozess anhängig. Die Bildagentur Getty Images verklagt Stability AI, weil deren KI-Bildgenerator millionenfach Urheberrechte verletzt haben soll, indem die Bilder zum Training verwendet wurden. Dies könnte der Beginn einer Klagewelle sein, da in verschiedenen sozialen Netzwerken immer wieder KI-Bilder von verschiedenen Tools kursieren, die sogar noch ein Wasserzeichen einer Bildagentur tragen.
Mit ChatGPT hat OpenAI eine Entwicklung massiv beschleunigt, die bisher eher im Verborgenen stattfand. Neue Ankündigungen zeigen, dass sie auch von Tech-Giganten wie Google nicht verschlafen wurde. Die nächsten Monate und Jahre werden von weiteren Entwicklungen geprägt sein, denn der aktuelle Stand ist erst der Anfang.
Und hier schließt sich der Kreis zur iPhone-Analogie: Wenn wir heute das erste iPhone in die Hand nehmen, können wir die damalige Magie kaum nachvollziehen. Dieses im Vergleich zu heutigen Modellen so limitierte Gerät hat aber entscheidend zum Aufstieg von Apple zur wertvollsten Marke der Welt beigetragen. KI-Anwendungen sind heute auf dem Stand des ersten iPhones – wie sie sich in den nächsten 15 Jahren weiterentwickeln werden, können wir uns noch nicht einmal ansatzweise vorstellen.
Solange die rechtlichen Fragen nicht geklärt sind, sollten Inhalte von Generativer KI zumindest für kommerzielle Zwecke nur mit Vorsicht eingesetzt werden. Die Zukunft dieser Werkzeuge könnte aber auch in einer anderen Richtung als der Generierung kompletter Inhalte liegen: Wenn Bild- oder Textgeneratoren nur bestimmte Aufgaben übernehmen, die sie besonders gut können und die für Menschen eher zeitaufwändig sind, werden sie zu nützlichen KI-Kollegen.
Text: Falk Hedemann
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