Doch die Zeit des ausgiebigen Testens und Bewertens ist nun vorbei. Als Versicherungsbranche müssen wir nun in die Skalierung kommen bei Technologien wie KI und GenAI, Robotics, Process Mining und Co.
Denn was uns die vergangenen zwölf Monate auch gezeigt haben ist, dass externe Schocks und ihre negativen Auswirkungen weiter zunehmen. Wir bekommen immer deutlicher die Folgen des Klimawandels zu spüren und ebenso die volkswirtschaftlichen Konsequenzen geopolitischer Spannungen. Noch dazu ist auf unserem Heimatmarkt Deutschland ein weiterer geburtenstarker Jahrgang in die wohlverdiente Rente gegangen. Die Last des demografischen Strukturwandels wiegt damit wieder etwas schwerer.
Digitalisierung ist für uns als Versicherer ein zentrales Element, um unsere zukünftige Resilienz und Profitabilität sicherzustellen. Nur durch eine konsequente und kontinuierliche Integration von digitalen Lösungen in unsere Produkte, Prozesse und Services können wir wirtschaftlich stark sein.
Dabei gibt es fünf Faktoren, die jedes Unternehmen für eine erfolgreiche digitale Transformation beachten sollte, und im Gegenzug auch fünf, die es zu vermeiden gilt. Über diese habe ich im Laufe des Jahres immer wieder in meinen Kolumnen hier geschrieben. Zusammenfassen lassen sich die „Dos“ (Punkte 1 bis 5) und „Don‘ts“ (6 bis 10) einer erfolgreichen Digitalisierung folgendermaßen:
1. Entmystifizierung von Technologie
Die digitale Transformation beginnt damit, Technologie zu entmystifizieren und Ängste bei Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu nehmen. Die Kolleginnen und Kollegen müssen klar nachvollziehen können, was eine Technologie kann – und was nicht. Sie müssen verstehen, welchen Mehrwert die eingeführten Technologien bringen – und sie sollten selbst erleben, wie diese sie in ihrem beruflichen Alltag unterstützen. Beim Entmystifizieren von Technologie geht es darum, technische Konzepte, Systeme oder Geräte verständlicher zu machen und so die Akzeptanz dafür zu fördern. Dabei kann auch eine frühzeitige Vorgehensvereinbarung zu digitalen Themen und Projekten mit den eigenen Mitbestimmungsgremien helfen. Sie schafft Transparenz und stellt sicher, dass die Interessen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter jederzeit berücksichtigt werden. All das legt die Basis für eine vertrauensvolle und somit erfolgreiche Zusammenarbeit. Denn die beste Technologie entfaltet keine Wirkung, wenn sie von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern nicht angenommen und genutzt wird.
2. Weiterbildung & Entwicklung
Damit Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter neue Technologien effektiv nutzen können, müssen sie den Umgang damit erlernen. Die Bereitstellung neuer Tools und Anwendungen muss deshalb immer eng mit thematischen Weiterbildungs- und Entwicklungsmöglichkeiten verknüpft sein – etwa in Form von praktischen (Online-)Workshops und Fortbildungen, Thementagen, Dialogformaten, Fachartikeln, digitalen Sprechstunden und ähnlichem. Da Versicherer jeden Tag mit teils hochsensiblen Daten arbeiten, benötigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aller Ebenen auch ein Verständnis für die Bedeutung von Daten, deren Qualität und dem datenschutzkonformen Umgang damit – gerade, wenn es um KI geht. Es braucht eine unternehmensweite Datenkompetenz, eine „Data Literacy“, und auch für Themen wie Datenminimalismus sollten Lernangebote sensibilisieren. Denn nach wie vor gilt: Digitalisierung erfordert lebenslanges Lernen. Nur so gelingen Teilhabe und Partizipation, was wiederum Schlüsselelemente einer erfolgreichen digitalen Transformation sind.
3. Konsequentes Teamwork auf allen Ebenen
Erfolgreiche Digitalisierung erfordert zudem ein konsequentes Teamwork auf allen Ebenen. Sie ist eine interdisziplinäre Gemeinschaftsausgabe, zu der jeder seinen persönlichen Beitrag leisten muss. Das Management muss die digitale Transformation nicht nur wollen, sondern sie auch aktiv vorleben und die nötigen Prozesse dafür anstoßen. Die Fachbereiche müssen ihre Bedarfe kommunizieren, die durch den Einsatz neuer Technologien adressiert werden sollen. Die Lösungen dafür müssen in Zusammenarbeit mit den Product Ownern sowie der IT iterativ entwickelt und implementiert werden. Digitalisierung ist wie ein Zahnrad, bei dem verschiedene Komponenten ineinandergreifen. Nur gemeinsam lassen sich Prozesse optimieren und die Potenziale der Digitalisierung heben.
4. Investments
Digitalisierung gibt es nicht zum Nulltarif. Wer erfolgreich digitalisieren will, muss dafür konsequent und kontinuierlich Investitionen aufbringen. Das betrifft unter anderem Investitionen für Lizenzkosten, den Plattformaufbau, die Softwareentwicklung und Integration in die Backend-Systeme, Personal- und Sachkosten, Fachbereichsaufwendungen, Hardware und vieles mehr. Solche Posten sind als dauerhaft zu betrachten, da Digitalisierung keine Fließbandproduktion ist. Sie braucht Zeit und eben auch Geld. Vor allem ist ein klares, positives Kosten-Nutzen-Verhältnis vonnöten. Wenn das nicht gegeben ist, müssen Unternehmen die betreffenden Digital-Projekte zeitnah wieder einstellen, da alles andere ihrer unternehmerischen Pflicht zum wirtschaftlichen Handeln widerspricht.
5. Digitale Kultur
Eine erfolgreiche digitale Transformation setzt zudem eine tief verankerte digitale Kultur voraus. Neben den bereits weiter oben beschriebenen Aspekten des „User Adoption Managements“ wie Schulungen und Tutorials etc. („Dos“ 1 und 2), deren Ziel es ist, sicherzustellen, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter neue Tools effektiv nutzen und deren Vorteile erkennen, geht es beim Etablieren einer digitalen Kultur auch darum, ein dauerhaftes Umfeld von Innovationsbereitschaft, Lernfreude und Experimentieren zu schaffen. Eine digitale Kultur umfasst die Gesamtheit von Werten, Normen, Verhaltensweisen und Arbeitsmethoden in einem Unternehmen, die durch den Einsatz neuer, digitaler Technologien geprägt ist. Die digitale Kultur ist damit das Rückgrat jeder digitalen Transformation. Beides muss zusammen gedacht und etabliert werden, da das eine ohne das andere nicht gelingen kann.
Vermeiden sollten Versicherer dagegen:
6. Fehlende Fehlerkultur
Fest steht auch: Es wird nicht immer alles planmäßig gelingen. Im Verlauf von Digitalprojekten wird es immer wieder zu einzelnen oder kombinierten Ereignissen kommen, die die Qualität und den Erfolg von Digitalprojekten beeinträchtigen. Das kann passieren, wenn sich beispielsweise die technische Implementierung als schwieriger erweist als anfangs gedacht, wenn technische Lösungen nicht zur Verfügung stehen oder im Verlauf des Projektes erst klar wird, dass der zu verändernde Prozess nicht mit der angedachten Technologie kompatibel ist. Manche Digitalprojekte müssen auch wieder ganz eingestellt werden, da sie nicht den Erwartungen entsprechen. In diesem Fall sind das schnelle Eingeständnis von Fehlern und die Bereitschaft, daraus zu lernen, entscheidend. Denn Fehler bieten die Möglichkeit, Erkenntnisse zu gewinnen und Verbesserungen vorzunehmen. Sie ermöglichen es, die eigene Herangehensweise zu überdenken, neue Strategien zu entwickeln und in Zukunft bessere Entscheidungen zu treffen. Das kann sehr wertvoll sein, braucht aber eine gelebte Fehlerkultur.
7. Innovator‘s Dilemma
Zudem kann für Versicherer gerade die Zusammenarbeit mit Start- und Scale-ups ein inspirierender und wertvoller Ansatz sein, um die eigene digitale Transformation noch weiter voranzubringen. Von den aufstrebenden Unternehmen können Versicherer wichtige Impulse erhalten, wenn es um neue Technologien, Märkte oder Geschäftsmodelle geht. Start- und Scale-ups stehen stellvertretend für eine Kultur des ständigen Wandels. Sie sind der Inbegriff von Innovation, Agilität und dem Mut, neue, unkonventionelle Wege zu gehen. Das braucht es auch, um als Unternehmen in unserer dynamischen Welt zu bestehen. Doch gerade etablierte Unternehmen haben oft Schwierigkeiten, disruptive Innovationen zu entwickeln oder zu adaptieren. Sie sehen sich mit dem „Innovator's Dilemma“ konfrontiert, das entsteht, wenn sich Unternehmen primär auf Verbesserungen von bereits bestehenden Produkten oder Dienstleistungen fokussieren, ohne auch in Innovationen zu investieren. Dies kann dazu führen, dass sie von (neuen) Wettbewerbern überholt werden, die solch neuere Technologien erfolgreich nutzen. Deshalb gilt es, von anderen zu lernen und Innovationen frühzeitig zu testen – und zu implementieren. Denn wer nicht mit der Zeit geht, geht mit der Zeit.
8. Vernachlässigte Regulierung
Die Versicherungsbranche ist eine der am stärksten regulierten Branchen Deutschlands. Die strikte Einhaltung regulatorischer Vorgaben ist von zentraler Bedeutung und sollte nicht vernachlässigt werden, um rechtliche Sicherheit, das Vertrauen von Verbrauchern, der Belegschaft, von Partnern und anderen Interessensgruppen sowie den langfristigen Geschäftserfolg zu gewährleisten. Da Digitalisierungsprojekte oft mit neuen Technologien einhergehen, müssen diese kontinuierlich darauf übergeprüft werden, ob sie (noch) den geltenden rechtlichen und regulatorischen Anforderungen entsprechen. Hierzu müssen frühzeitig alle relevanten Stakeholder wie Recht, Compliance, IT oder Risikomanagement eingebunden werden. Zudem braucht es klar definierte Prozesse und Mechanismen zur Überwachung und Bewertung der Standards. Die präzise Berücksichtigung regulatorischer Aspekte ist ein entscheidender Faktor für den nachhaltigen Erfolg von Innovationen in der Versicherungsbranche.
9. Unterschätzte Verwaltungsprozesse
Die Digitalisierung bietet der Versicherungsbranche die Möglichkeit, Produkte, Prozesse und Services kontinuierlich und konsequent zu optimieren. Durch den Einsatz neuer Technologien können etwa manuelle Abläufe automatisiert werden, womit Kundinnen und Kunden bei den Faktoren Zeit, Qualität und Kosten profitieren, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von repetitiven Aufgaben befreit werden und Unternehmen insgesamt Ressourcen sparen und effizienter werden. Dabei darf jedoch nicht vergessen werden, dass auch Digitalisierungsprojekte mit teilweise sehr umfangreichen Verwaltungsprozessen einhergehen. Dazu gehören etwa das Projekt- und Ressourcenmanagement, die Dokumentation von Prozessen, Entscheidungen und Ergebnissen zur Nachverfolgbarkeit und Transparenz sowie die Kommunikation zwischen allen beteiligten Interessensgruppen. Gut orchestrierte Verwaltungsprozesse sind somit entscheidend für den Erfolg von Digitalisierungsprojekten. Der Aufwand für die Planung, Umsetzung und das Nachhalten der digitalen Transformation ist aber nicht zu unterschätzen.
10. Fehlende Datenstrategie
Zu guter Letzt hört es sich so simpel an: Um neue Technologien wie KI erfolgreich einzusetzen und die digitale Transformation voranzutreiben, brauchen Unternehmen Daten. Doch Daten sind nicht gleich Daten. Erst kuratiert und strukturiert helfen sie Unternehmen, einen echten Mehrwert zu schaffen. Durch den bloßen Besitz von Daten lassen sich weder neue Geschäftsmodelle entwickeln noch neue Technologien erfolgreich implementieren und nutzen. Was Unternehmen deshalb brauchen, ist eine klare Datenstrategie. Sie definiert sowohl die Qualität und Verfügbarkeit von Daten als auch deren datenschutzkonforme Verwendung und Verwaltung. Eine solche Datenstrategie gibt vor, welche internen und externen Datenquellen ein Unternehmen nutzt und wie Daten erfasst und auch wieder gelöscht werden, um sämtlichen (datenschutz-)rechtlichen, sicherheitsrelevanten und betrieblichen Anforderungen gerecht zu werden. Nur mit den richtigen Daten, die erhoben, gepflegt, erweitert und in die benötigte Form gebracht werden, können Versicherer technologische Innovationen nutzen und sich neue Märkte erschließen. Ohne Daten gibt es keine digitale Transformation.
Sie sehen: Eine erfolgreiche digitale Transformation ist sicherlich eine Mammutaufgabe für jedes Unternehmen. Es geht dabei nicht nur darum, das Unternehmen technologisch, sondern auch kulturell und organisatorisch ins digitale Zeitalter zu führen. Mit Blick auf die aktuellen und auch kommenden Herausforderungen sind das Implementieren und Skalieren neuer Technologien jedoch alternativlos, um auch künftig resilient, profitabel und wettbewerbsfähig zu bleiben. Gehen wir es also an. Die Zeit dafür ist jetzt!
Text: Mark Klein, CDO ERGO Group
Hinweis: Dieser Beitrag ist zuerst beim Versicherungsmonitor erschienen.