Was bedeutet es, trans* zu sein?


Magazin, 06.07.2021

ERGO Mitarbeiterin Julia Dursch ist trans*. Ihr wurde bei der Geburt das Geschlecht männlich zugewiesen, sie fühlte sich aber immer schon als Frau. Im Interview erzählt sie, wie ihr Weg zur eigenen geschlechtlichen Identität abgelaufen ist und warum Offenheit und Freiheit dabei so wichtig sind.

Julia Dursch, ERGO Group

Frau Dursch, könnten Sie zu Beginn erklären, was genau der Begriff trans* eigentlich meint?

Julia Dursch: Trans* Personen sind Menschen, deren Geschlechtsidentität nicht mit dem Geschlecht übereinstimmt, welches ihnen bei der Geburt zugewiesen wurde. Sie können sich also nicht oder nur teilweise mit dem Geschlecht identifizieren, das nach der Geburt – meist aufgrund äußerer körperlicher Merkmale – in ihre Geburtsurkunde eingetragen wurde. Und das Wort trans* ist das Adjektiv dazu.

Wie haben Sie denn gemerkt, dass Sie kein Mann, sondern eine Frau sind?

Ich würde sagen, dass ich das schon immer wusste. Dieses Gefühl war schon im Kindergarten vorhanden. Ich habe mich aber lange Zeit nicht damit beschäftigt und es verdrängt. Meine Geschlechtsidentität, und meine sexuelle Orientierung ebenfalls, habe ich sozusagen ganz hinten in eine Schublade gesteckt. Über die Jahre hat sich das Gefühl aber weiterentwickelt und ich habe gemerkt, dass es mir mit dieser Situation einfach nicht gut geht. Denn ich war ja nicht ich selbst. 

Und dann kam irgendwann der Punkt, wo Sie so nicht weitermachen wollten?

Genau. Ich habe mir dann gesagt: So geht es nicht weiter. Ich muss mich damit beschäftigen und zu mir selbst finden. Ich nehme mein Leben in die Hand und verhelfe mir jetzt selbst zu meinem Glück, auch wenn es nicht einfach wird. Diesen Schritt zu gehen, hat vieles verändert und ich fühle mich jetzt sehr viel freier. Freiheit ist in diesem Zusammenhang ein ganz wichtiges Gefühl. Ich habe mich zwar nie versteckt – und wer fragt einen schon einfach so, ob man ein Mann oder eine Frau ist? 

Aber es ist ein großer Unterschied, ob man über einen wichtigen Teil der eigenen Identität schweigt und allem, was damit zusammenhängt, aus dem Weg geht – oder ob man mit diesem Teil offen umgehen und ein authentisches Selbst mit der Welt teilen kann. Es geht um die Frage: Wer bin ich? Das ist eine tiefgreifende Frage und das herauszufinden war ein recht langer Prozess, bei dem ich mir sehr viele Gedanken gemacht habe.

Wann und wie hatten Sie Ihr Coming Out? 

Ich hatte mein Coming Out mit 24 Jahren. Mein Studium habe ich damals noch als männliche Person begonnen, im Masterstudium in den USA habe ich mich dann aber geoutet. Das lief an sich recht problemlos. Mein nahes Umfeld in den USA und die Universität dort haben mir Sicherheit gegeben. Da gab es eine große Offenheit gegenüber LGBT+ und sogar geschlechtsneutrale Toiletten, die ich dann auch benutzt habe. Für mich war das Coming Out der Start in ein neues Leben. Dass mein Umfeld darauf positiv reagiert hat, hat mir sehr geholfen und ich wünsche mir, dass jede Person dieses Glück hat. Ich weiß aber leider auch, dass viele LGBT+ Personen erst einmal auf Ablehnung stoßen. Deshalb ist Offenheit und Zuhören so wichtig. Denn ein Coming Out erfordert viel Mut.

Wie waren denn die Reaktionen konkret?

Mein Freundeskreis hat das Coming Out sehr positiv aufgenommen. Ich habe es ihnen an meinem Geburtstag gesagt und alle haben das sofort akzeptiert. Meiner Familie habe ich es per Skype gesagt – in einem sehr emotionalen Gespräch. Auch dort wurde es gut aufgenommen, was für mich sehr befreiend war. Ab diesem Zeitpunkt konnte ich offener anderen Menschen gegenüber sein, mich vollkommen meinen Vorstellungen nach kleiden und einfach ich selbst sein. Dabei tauchten auch die Fragen auf, welchen Namen und welche Pronomen ich eigentlich benutzen möchte. 

Die direkte Anrede und Pronomen sind bei trans* Personen ja ebenfalls ein Thema. Wie lässt sich das am besten lösen?

In sozialen Netzwerken schreiben viele trans* Personen und auch Menschen aus der LGBT+ Community allgemein hinter ihren Namen noch die Pronomen, mit denen sie gern angesprochen werden möchten. Also zum Beispiel sie, er, they (aus dem Englischen) oder auch „keine Pronomen“. Und beim persönlichen Kontakt kann man die Pronomen auch einfach zum Namen dazu sagen. Das kann sehr viel bewirken. So wird der Umgang mit Pronomen und auch mit der Vielfalt von Identitäten zur Normalität. Wenn das nun aber nur trans* Personen machen, ist das natürlich ein Marker dafür, dass diese Personen trans* sind, was wiederum zu Anfeindungen oder auch Diskriminierung führen kann. Das würde man verhindern, wenn es jeder Mensch machen würde – auch Personen, die nicht trans* sind.

Trans* Personen müssen häufig mit viel Unverständnis umgehen. Haben Sie auch Erfahrungen mit Diskriminierung gemacht?

Das Thema trans* ist für viele Menschen sehr weit weg. Mich hat bisher niemand direkt konfrontiert oder ist gewalttätig geworden. Ich nehme seit mehreren Jahren weibliche Hormone und habe schon einige Schritte in meiner Transition gemacht, sodass ich meistens als Frau gelesen werde und mein äußeres Erscheinungsbild bei anderen Menschen in der Regel keine Fragen aufwirft. Das macht es für mich deutlich einfacher – ist aber ein Privileg, dem ich mir bewusst bin. Ich bin weiß, habe einen deutsch klingenden Namen, passe in das binäre Schema von Mann und Frau, habe einen festen Job, habe Zugang zu medizinischer Versorgung für meine Transition und habe ein Umfeld, das mich unterstützt. 

Es gibt viele trans* Personen, die diese Privilegien nicht haben – und sie machen andere Erfahrungen als ich, die auch mit deutlich mehr Diskriminierung verbunden sein können. Aber generell ist es wichtig, den Menschen bewusst zu machen und zu erklären, dass es sehr verletzend ist, wenn einem beispielsweise das eigene Geschlecht abgesprochen wird oder die falschen Pronomen verwendet werden. Wenn die andere Person offen dafür ist, lässt sich das möglicherweise in einem ruhigen Gespräch klären. 

Kommt es auch mal vor, dass manche Menschen nicht genau wissen, wie Sie mit Ihnen umgehen sollen? Wie reagieren Sie darauf?

Manche Personen sind verwirrt, wenn sie meinen Personalausweis sehen, und wissen nicht, wie sie damit umgehen sollen. Wenn die Realität nicht den Vorstellungen der Menschen entspricht, ist das für manche nicht so einfach. Ich persönlich gehe damit relativ entspannt um. Ich spreche zum Beispiel auch mit Personen im Arbeitsumfeld über meine Vornamens- und Personenstandsänderung und ich beantworte gern Fragen. Ich finde man sollte sich aber immer überlegen, was man da gerade fragt. Wir sollten schauen, dass man respektvoll miteinander umgeht, aufeinander eingeht und ein „Nein, dazu möchte ich nichts sagen“ auch akzeptiert. 

Wie wichtig ist es, dass Sie mit ERGO einen Arbeitgeber haben, der Diversität im Unternehmen unterstützt und vorantreibt?

Es ist sehr wichtig, dass bei ERGO gezeigt wird: Wir sind ein offenes Unternehmen und stehen zu unseren Mitarbeitenden. Keine Person sollte Befürchtungen haben, dass ihr Nachteile durch die eigene Geschlechtsidentität oder sexuelle Orientierung entstehen, oder durch andere Aspekte der Identität. Das ist ein eindeutiges Signal, dass sich Menschen öffnen, zu sich selbst stehen und sich gegenseitig unterstützen können. Das sieht man auch an der Vielzahl von Netzwerken, die es mittlerweile bei ERGO gibt, zum Beispiel pride@ergo. Die Arbeit macht ja einen großen Teil des Lebens aus. Und sich dort wohl und sicher zu fühlen, das gibt mir ein gutes Gefühl. 

Das Interview führte Benjamin Esche.

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