Agiles Arbeiten: Die ERGO Digital Factory


Mitarbeiter in die Digitalisierung einbinden

Magazin, 13.03.2020

Wer an eine „Fabrik“ denkt, hat vermutlich ein Gebäude mit rauchendem Schlot vor Augen. Gänzlich andere Assoziationen verknüpfen sich mit dem Begriff „Digital Factory“. Mit einer derart smarten Fabrik stellt ERGO die Weichen für das agile Arbeiten der Zukunft.

 

 

In Düsseldorf-Pempelfort – einem Viertel, in dem sich Job, Kultur und Wohnen vermischen – treffen die alte und die neue Arbeits­welt auf­einander. Da ist zunächst der schlanke Hoch­haus­turm von ERGO, der wie ein silberner Pfeil in den Himmel schießt. Seit mehr als 20 Jahren arbeiten die Mitarbeiter hier in traditionellen Büros und prüfen etwa Schaden- und Leistungs­fälle von Versicherten.

 

Auf der anderen Seite des Rheins befindet sich, - als Repräsentantin einer neuen Ära - die smarte Fabrik des Konzerns, die Digital Factory. Es ist keine Fabrik im herkömmlichen Sinne – es gibt keine schweren Maschinen, Ruß oder Fließbänder. Statt­dessen beschäftigen sich die Mitarbeitenden in einem kreativen Umfeld mit den Heraus­forderungen der Digitalisierung, und zwar immer im Hinblick darauf, was für die Kunden wichtig ist. Dabei beschreiten die ERGO Mitarbeiter neue Wege des Arbeitens.

 

Digitalisierung verändert den Arbeits­platz

 

Um die Idee einer Digital Factory besser verstehen zu können, sollte man sich zunächst die Auswirkungen der Digitalisierung auf das Arbeits­leben klar­­machen. Roboter oder künstliche Intelligenzen (KI) haben bereits heute Einzug in die Büros gehalten, und auch künftig werden sie die Konzerne weiter verändern. Bei ERGO etwa erledigt ein Software-Roboter das Eintippen von Daten­sätzen in den Computer und erspart dadurch den Mitarbeitenden diese zeit­intensive und fehler­anfällige Tätigkeit.

 

Schlaue KI-Systeme wiederum ordnen von Kunden eingehende E-Mails direkt dem richtigen Sach­bearbeiter zu. So erreicht die Post innerhalb kürzester Zeit die gewünschten Ansprech­partner, eine Antwort an die Kunden ist noch schneller möglich als sonst, und zusätzlich bekommen die Mitarbeitenden mehr Zeit für Dinge, die kein Roboter über­nehmen kann: persönliche Gespräche und Kunden­beratungen.

 

Mit weniger Wartezeiten, der Über­nahme monotoner Tätigkeiten und dadurch frei werdenden Kapazitäten liegen die Vorteile der Digitalisierung klar auf der Hand. Nach­voll­zieh­bar sind jedoch auch aufkommende Ängste. „Viele Mitarbeitende können das Ausmaß des Einsatzes von Robotics oder KI-Systemen in der Zukunft im Hinblick auf ihre Jobs nicht einschätzen“, sagt Nicole Nebelung, die bei ERGO den Vorgang der digitalen Transformation voran­treibt und sich als „Brücken­bauerin zwischen der alten und der neuen Arbeits­welt“ versteht. „Deshalb ist es wichtig, die Menschen in den Prozess der Digitalisierung einzubinden. Das ist in der Digital Factory möglich.“

 

Agiles Arbeiten in einem agilen Setting

 

ERGOs Digital Factory präsentiert sich als eine große offene Fläche, ein „Open Space“, auf dem man klassische Büroräume vergeblich sucht. Die modernen Möbel zeugen vielmehr davon, dass Arbeit ein Prozess und immer im Fluss ist. Mitarbeiter finden in kleinen Teams zusammen, und auch wenn ihr Arbeits­alltag einer festen Struktur folgt, gibt es doch viele Freiheiten und Raum für Kreativität. „Dieses Setting spiegelt sich auch in unseren Möbeln wieder“, sagt Nicole Nebelung. Da sind bunte quadratische Sitz­hocker, die sich je nach Bedarf und Team­größe verschieben und zu immer neuen Konstellationen zusammen­setzen lassen.

 

Viele Steh- anstelle von Schreib­tischen laden zum Arbeiten in rücken­schonender Haltung ein, und Lounge­sessel bieten bequeme Plätze zum Nachdenken oder für eine Phase der Regeneration. „Phone Boxes“ ermöglichen den Mitarbeitern einen ungestörten Rückzug für Telefonate. „Und, ganz wichtig: Immer sind die Wege zu den Kollegen so kurz, dass es sich nicht lohnt, eine E-Mail zu schreiben – denn viel schneller und unkomplizierter kommt man persönlich ins Gespräch.“

 

Nicole Nebelung arbeitet seit Ende 2018 als Digital Transformation Managerin bei ERGO.

 

Experten bezeichnen das Arbeiten in einer solchen Atmosphäre als „agiles Arbeiten“. Für diesen Begriff hat sich noch keine allgemein­gültig-verbindliche Definition eingebürgert, gemeint ist aber, dass Mitarbeiter flexibel und „cross­funktional“ über Abteilungen hinweg kooperieren. Klassische Hierarchien werden dabei zugunsten der Team­bildung aufgegeben. „Agiles Arbeiten ist aber keine Methode“, betont Nicole Nebelung. „,Agil‘ bezeichnet vielmehr die Haltung der Mitarbeitenden - ihr Mindset. Damit steht und fällt der Erfolg der Digital Factory.“

 

Zufriedene Kunden, zufriedene Mitarbeiter

 

Mitarbeitende, die offen für neue Erfahrungen im Job sind und Lust haben, an der Versuchs­anordnung Digital Factory teilzunehmen, werden an vier Tagen in der Woche in die neue Arbeits­welt der Fabrik entsandt. Sie wurden entweder durch ihren Vorgesetzten empfohlen, oder sie sind selbst neugierig geworden durch eine der zahl­reichen Veranstaltungen, mit denen der Konzern die Mitarbeiter über den digitalen Wandel informiert.

 

In der Fabrik beschäftigen die Mitarbeitenden sich mit dem Thema „Schaden“ genauso wie mit Anliegen zu Verträgen. Im Mittelpunkt stehen immer die Kunden. „Ein Team hat beispielsweise eine App entwickelt, die wir mittlerweile unseren Kunden zur Verfügung stellen – nämlich einen Schaden­tracker“, berichtet Nicole Nebelung. „Mit dessen Hilfe stellen die Versicherten fest, in welchem Status sich ihr eingereichter Schaden befindet und wann sie mit einer Aus­zahlung rechnen können.“ Dass diese Information für die meisten Kunden relevant ist, haben die Mitarbeitenden der Digital Factory unter anderem durch Befragungen in Erfahrung gebracht.

 

Manchmal führen sie solche Befragungen sogar auf der Straße durch. „Einmal sind die Kollegen mit ihrem auf dem Tablet gespeicherten Dummy einfach nach draußen gegangen und haben Passanten gefragt: Wie finden Sie das? Was können wir weiter verbessern? Was fehlt Ihnen? Und da zu jedem Team auch Kollegen aus der IT gehören, konnten die Wünsche und Anregungen blitz­schnell umgesetzt werden.“ Von solch einem Ergebnis haben alle etwas: Die Kunden - durch einen genau auf sie zugeschnittenen Service - und die Mitarbeiter, die erleben, wie sinnvoll ihre agile Arbeits­weise ist.

 

Ausprobieren und spielerisches Arbeiten

 

Dass manche Anstrengungen auch mal in einer Sackgasse enden, gehört zum Konzept. Schnelles Scheitern ist mit eingeplant. Denn ein Vorteil des agilen Arbeitens ist, dass einzelne Themen auch über Bord geworfen werden können, ohne das komplette Projekt zu gefährden. Möglich wird das durch die sogenannte Scrum-Methode. Der englische Begriff „scrum“ entstammt dem Rugby und bedeutet übersetzt so viel wie „dichtes Gedränge“. Welches entsteht, wenn sich beim Rugby die Spieler um den Ball herum versammeln. Auf das agile Projekt­management über­tragen bedeutet dieses Bild, dass ein Team mehr Erfolg hat als ein Einzel­kämpfer – und zwar vor allem im Moment des Hin-und-her-Spielens des Balls oder des Themas.

 

Entsprechend beginnt jeder Tag in der smarten ERGO Fabrik mit einem „Daily“ – einer Runde, in der die Beteiligten die Kollegen kurz über den jeweiligen Stand ihres Projekts ins Bild setzen. Läuft etwas schief, fällt es oftmals in diesem Moment auf. Oder in einem der „Reviews“, der Rückblicke, die alle zwei Wochen statt­finden. „Durch diese Meetings verfügen wir über kurze Zyklen in der Entwicklung, und es kann schnell reagiert werden, wenn etwas anders läuft als erwartet“, sagt Nicole Nebelung. In der traditionellen Arbeitswelt, so Nebelung, funktionieren solche Prozesse anders. „Hier gibt es bei Projekten oftmals einen klar definierten Start- und Endpunkt, und bei dessen Erreichen kann ein Fazit lauten, dass die Ergebnisse nicht so ziel­führend waren wie erhofft. Dann aber ist es für das Ausprobieren von Änderungen zu spät.“

 

Am fünften Tag in der Woche kehren die agilen Wanderer zwischen der alten und der neuen Arbeitswelt aus der Digital Factory in ihr vertrautes Arbeits­umfeld zurück. Sie treffen auf Kollegen, Vorgesetzte und immer mehr Neugierige, die wissen möchten, welche Erfahrungen sie in der smarten Fabrik gemacht haben. Dadurch begeistern die Botschafter der Digital Factory andere, den Wandel aktiv mit­zu­gestalten. Zum Glück. Denn bei der digitalen Transformation lohnt es sich, mittendrin statt nur dabei zu sein. Agil eben. So klappt dann auch der kulturelle Wandel, der dafür notwendig ist.

 

Dieser Beitrag ist zuerst auf zeit.de am 02.12.2019 erschienen.

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