Autonomes Trucking in der Logistikbranche


Interview mit Fernride-Gründer Hendrik Kramer

Digitalisierung & Technologie, 03.11.2023

Eine effiziente Logistik basiert auf intelligenten Mobilitätslösungen und hat weitreichende wirtschaftliche und gesellschaftliche Auswirkungen. Nachhaltigkeit, Zuverlässigkeit und Sicherheit sind zentrale Faktoren, die auch Gegenstand versicherungsrelevanter Fragen sind. Hendrik Kramer, CEO und Mitgründer von Fernride, berichtet im Interview über Chancen für die Logistikbranche, wie diese schon heute von einer „human-assisted autonomy“ profitieren kann – und welche Rolle der Mensch dabei spielt. Ähnlich wie am Insurtech Faye hat sich ERGO auch an Fernride über einen Venture-Capital-Fonds von Munich Re Ventures beteiligt.

Hendrik Kramer, CEO und Mitgründer von Fernride

Hendrik Kramer, CEO und Mitgründer von Fernride

Herr Kramer, welche Idee steckt hinter dem Konzept von Fernride, wie ist es entstanden?

Fernride ist eine Ausgründung des Instituts für Teleoperation an der TU München und begann 2009 mit der Forschung auf diesem Gebiet. Während der Hype um autonome Fahrzeuge zwischen 2015 und 2020 seinen Höhepunkt erreichte, glaubte Fernride immer an die Anwendung eines Ansatzes der Mensch-Maschine-Kollaboration beim autonomen Fahren. Damals wurde dieser Ansatz von vielen belächelt, doch heute zeigt sich, dass menschengestützte Autonomie – wir nennen es human-assisted autonomy, also ein Teleoperator, der bei Bedarf aus der Ferne assistiert –, der einzige Weg zur Kommerzialisierung und Skalierung eines Unternehmens in der autonomen Fahrzeugbranche sein kann. Der Erfolg gibt uns Recht. Heute verbindet Fernride ein Jahrzehnt der Forschung mit der Expertise aus der autonomen Fahrzeug- und Automobilbranche und rekrutiert Führungskräfte von namhaften Unternehmen. Derzeit beschäftigt Fernride mehr als 130 Mitarbeiter in Büros in München und Wolfsburg. Wir haben uns zum Ziel gesetzt, zum Weltmarktführer im Bereich des autonomen LKW-Fahrens zu werden.

Ein ambitioniertes Ziel. Mit welchen Lösungen überzeugen Sie Ihre Kunden?

Lassen Sie uns von der gegenwärtigen Situation ausgehen. Abgesehen von unerwarteten globalen und regionalen Ereignissen wie beispielsweise der Corona-Pandemie oder der russischen Invasion in der Ukraine, die auf die logistische Versorgungskette erheblichen Einfluss haben, befindet sich die Logistikbranche in einem Spannungsfeld vieler gravierender Einflussfaktoren. Sie kämpft mit geringen Gewinnspannen, einer zu geringen Zahl an Lkw-Fahrern und der Notwendigkeit, die CO2-Emissionen zu senken.

„Der Mangel an Lkw-Fahrern in Europa wird bis 2026 von 400.000 auf zwei Millionen ansteigen.“

Hendrik Kramer, CEO und Mitgründer von Fernride

Können Sie das ein wenig konkretisieren?

Der Mangel an Lkw-Fahrern in Europa wird bis 2026 von 400.000 auf zwei Millionen ansteigen. Steigende Lohnkosten und die Folgen des demographischen Wandels werden die Gewinne weiter belasten. Und mit der Verschärfung der Klimakrise sehen sich die Unternehmen mit strengeren Emissionsvorschriften und möglichen Bußgeldern konfrontiert. Lösungen müssen schnell und wirtschaftlich sinnvoll sein und sich nahtlos in den laufenden Logistikbetrieb integrieren lassen, ohne Störungen zu verursachen.

Wir fokussieren uns deshalb auf Herausforderungen, denen wir schon heute mithilfe unserer Technologie intelligent begegnen können. Die Branche braucht Zuverlässigkeit im operativen Betrieb. Genau das leistet unser Ansatz der human-assisted autonomy. Möglich ist das aufgrund der von Fernride eingesetzten Technologie. Wir bieten effiziente skalierbare Automatisierungslösungen für Yard Trucking, die die Produktivität erhöhen, die Nachhaltigkeit fördern und auch die Sicherheit der Mitarbeiter verbessern. Denn mögliche Gefahrenquellen können deutlich reduziert werden.

Wo liegen genau die Vorteile gegenüber den momentan praktizierten Prozessen, was machen Sie anders?

Fernride konzentriert sich auf akute Probleme, die schon heute gelöst werden können: das autonome, elektrische Lkw-Fahren in Logistikzentren, Produktionsanlagen, intermodalen und maritimen Terminals. Anstatt sich also ausschließlich auf autonome Technologie zu verlassen, sind wir davon überzeugt, dass die Zusammenarbeit von Mensch und Maschine die wirtschaftliche Tragfähigkeit gewährleistet und die Vorteile bietet, die unsere Kunden heute benötigen.

Herr Kramer, lassen Sie uns noch einen Blick in die Zukunft wagen. Wo sieht Fernride neue Potenziale und Chancen?

In einem weiteren Schritt wollen wir gemeinsam mit unseren Kunden das autonome Lkw-Fahren auf öffentliche Straßen bringen. Wir sind davon überzeugt, dass wir damit zusätzliche Impulse setzen können, um den Weg in die Marktführerschaft von Fernride für autonomes, elektrisches Lkw-Fahren für alle Anwendungen nachhaltig zu forcieren.

Text: Martin Sulkowsky

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