Digitalisierung & Technologie, 5. Februar 2025

„GenAI verändert die Rolle des Menschen grundlegend“

Neues Whitepaper: Interview mit Georgina Neitzel, Head of ERGO Innovation Lab

Georgina Neitzel, Head of ERGO Innovation Lab

Georgina Neitzel, Head of ERGO Innovation Lab

Generative KI – auf Englisch: GenAI – entwickelt sich in rasantem Tempo, und ihr Einfluss auf Branchen wie die Versicherungswirtschaft wird immer greifbarer. Das ERGO Innovation Lab erforscht intensiv das Potenzial multimodaler KI und hat kürzlich bereits ein zweites Whitepaper zu diesem Thema veröffentlicht – nur ein Jahr nach dem ersten. Im Interview spricht Georgina Neitzel, Head of ERGO Innovation Lab, über die Motivation hinter dem Whitepaper sowie die Chancen und Herausforderungen durch GenAI.

Hallo Georgina, bitte erzähl uns doch zum Einstieg, was die Hauptmotivation für die Erstellung dieses neuen Whitepapers war? Ihr habt ja vor einem Jahr bereits ein erstes zu diesem Thema verfasst. Hat sich in der Zwischenzeit so viel geändert?

Multimodale Sprachmodelle markieren einen echten Wendepunkt in der Mensch-Maschine-Interaktion. Sie haben die Art und Weise verändert, wie wir mit Maschinen interagieren, weil sie verschiedene Inputs wie Text und Bilder, ähnlich wie wir Menschen, gleichzeitig verarbeiten können, schnell, präzise und mit viel kontextreicheren Antworten als je zuvor. Dadurch eröffnen sich neue Möglichkeiten, die vorher einfach nicht machbar waren. Beispiel: Statt Formulare auszufüllen und auf manuelle Prüfung zu warten, reicht heute ein Foto mit kurzer Audio-Beschreibung, und das Modell liefert in Sekunden eine Bewertung und konkrete Vorschläge.

Ein weiterer Grund für das Whitepaper war, dass diese Technologie heute viel zugänglicher ist. Sie ist nicht mehr nur für Experten gedacht, sondern kann von einer breiteren Anwendergruppe genutzt werden, was die Entwicklung und Anwendung massiv beschleunigt.

Aber: Diese Technologie ist keine Allzwecklösung. Unser Ziel war es, Orientierung zu geben. Wo kann sie sinnvoll eingesetzt werden?

Welche Ziele verfolgt ihr beim ERGO Innovation Lab mit der Nutzung multimodaler GenAI?

Unser Ziel im ERGO Innovation Lab ist es, multimodale GenAI gezielt einzusetzen, um langfristig echten Mehrwert zu schaffen; unsere Herangehensweisen sind hierfür sehr vielfältig:

Zum einen arbeiten wir eng mit unseren Fachabteilungen zusammen, um konkrete Applikationen und Geschäftsmodelle zu entwickeln, die wir zunächst als Prototypen testen. So stellen wir sicher, dass unsere Lösungen direkt auf die Bedürfnisse der ERGO abgestimmt sind.

Zudem setzen wir auf innovative Methoden wie GenAI-unterstützte Design Sprints oder Blueprints für GenAI-Marketing, um die Einführung neuer Technologien zu beschleunigen und nachhaltige Effizienz zu schaffen.

Und nicht zuletzt erforschen wir globale Themen wie LLM-Optimierung. Gemeinsam mit unserem Marketing-Team explorieren wir diesen neuen Channel und stärken damit die Position der ERGO als Vorreiter für innovative Technologien.

Im Whitepaper steht, dass 30.000 Eurer Kolleginnen und Kolleginnen Zugriff auf die Technologie haben. Welche Erfahrungen habt ihr beim Roll-out gemacht – sei es in Bezug auf Akzeptanz, Ablehnung oder überraschende Ergebnisse?

Unsere Erfahrungen zeigen, dass Akzeptanz entsteht, wenn wir die Technologie für unsere Mitarbeitenden greifbar machen und sie von der konzeptionellen Ebene ins tägliche Arbeiten integrieren.

Statt mit abstrakten Informationen oder oberflächlichen Use Cases zu überfordern, fokussieren wir uns zunächst auf wenige, ausgewählte Kernanwendungsfälle, die sofort echten Mehrwert liefern. Damit machen wir Technologien greifbar, das schafft Verständnis und fördert die Bereitschaft zur Nutzung.

Deepfakes sind imho eine sehr spannende, aber auch gefährliche Entwicklung. Könnte es in Zukunft vielleicht sogar eine Versicherung gegen Identitätsbetrug geben?

Deepfakes sind eine Entwicklung, die neue Herausforderungen für Unternehmen und Privatpersonen mit sich bringt. Die Gefahr, dass Identitäten manipuliert oder missbraucht werden, wächst, und es wird zunehmend wichtig, präventive Maßnahmen zu ergreifen.

Eine Versicherung gegen Identitätsbetrug könnte eine sinnvolle Antwort auf diese Risiken sein. Doch sie müsste über reinen finanziellen Schutz hinausgehen und auch präventive Dienstleistungen umfassen, beispielsweise den Einsatz von KI-gestützten Tools, um Deepfake-Inhalte frühzeitig zu erkennen und auch Unterstützung bei der Wiederherstellung der Reputation.

Eine Kernfrage wird sein, wie Versicherungen diese Risiken kalkulieren und absichern können. Hier bietet sich eine spannende Möglichkeit für die Branche, nicht nur Schutz zu bieten, sondern auch als Partner bei der Prävention und Aufklärung über diese Bedrohungen zu agieren.

Welche Entwicklungen in der GenAI erwartest du in den nächsten fünf Jahren, die den größten Einfluss auf die Versicherungsbranche haben könnten?

Hier würde ich gerne auf unseren aktuellen “Trend-Report“ verweisen, in dem wir viele Trends aufzeigen und ausführlich erläutern. Ein kleiner Ausschnitt:

  • Von reaktiv zu proaktiv: GenAI kann helfen, Risiken frühzeitig zu erkennen und präventiv zu adressieren, eine Veränderung von der reinen Regulierung hin zur aktiven Risikovorsorge.
  • Demokratisierung von Expertise: Komplexe Aufgaben werden zugänglich und handlungsfähig, wodurch Kunden und Mitarbeitende schneller fundierte Entscheidungen treffen können.
  • Hyperpersonalisierte Interaktionen: Beratungen und Angebote werden individuell zugeschnitten und in Echtzeit geliefert, was Kundenerwartungen nicht nur erfüllt, sondern übertrifft.

Wo siehst du das größte Potenzial von GenAI – in der Optimierung bestehender Prozesse oder in der Entwicklung völlig neuer Geschäftsmodelle?

GenAI hat großes Potenzial in beiden Bereichen, sowohl in der Optimierung von bestehenden Prozessen als auch in der Entwicklung völlig neuer Geschäftsmodelle. Entscheidend ist ein klarer und gezielter Einsatz.

Beispielsweise lassen sich viele Prozesse bereits effizient mit einfachen, regelbasierten Methoden automatisieren, hier braucht es nicht immer eine komplexe GenAI Lösung. GenAI entfaltet sein Potenzial dort, wo diese einfachen Lösungen an ihre Grenzen stoßen, etwa bei unstrukturierten Daten oder in besonders dynamischen Kontexten. Für mich gilt: Die beste Lösung ist oft die einfachste.

Das transformative Potenzial von GenAI sehe ich jedoch in der Entwicklung neuer Geschäftsmodelle. Ob neuartige, multimodale Kundeninteraktionen oder innovative, datengetriebene Produkte, GenAI eröffnet Möglichkeiten, die vorher nicht denkbar waren.

Wenn du die Entwicklung von GenAI mit einem Ereignis in der Technologiegeschichte vergleichen müsstest, welches wäre das?

Die Entwicklung von GenAI ist vermutlich vergleichbar mit dem Aufkommen des Internets in den 1990er Jahren. Beide haben unsere Lebens- und Arbeitsweise grundlegend verändert. Während das Internet Wissen global zugänglicher gemacht hat, geht GenAI einen Schritt weiter: Es verwandelt vorhandenes Wissen in konkrete Fähigkeiten, indem es Informationen nicht nur bereitstellt, darüber hinaus auch anwendet, beispielsweise, indem es Texte schreibt, Bilder generiert oder Entscheidungen vorbereitet. GenAI macht Wissen handlungsfähig und überbrückt damit die Lücke zwischen Information und Umsetzung.

Wie verändert GenAI, indem es Expertise zugänglicher macht, die Rolle des Menschen in einer technologiegetriebenen Arbeitswelt?

GenAI verändert die Rolle des Menschen grundlegend, indem es die Zusammenarbeit zwischen Mensch und Technologie auf ein neues Level hebt. Menschen können sich stärker auf ihre einzigartigen Fähigkeiten wie Empathie, strategisches Denken und Entscheidungskompetenz konzentrieren, während GenAI Routineaufgaben und komplexe Analysen übernimmt.

Besonders spannend ist, dass GenAI nicht nur die Effizienz steigert, sondern auch den Zugang zu Wissen und Handlungskompetenz demokratisiert. Das heißt, Aufgaben, die früher ausschließlich bestimmten Experten vorbehalten waren, können nun teilweise auch von Spezialisten benachbarter Disziplinen bewältigt werden. Diese Entwicklung lässt die Grenzen traditioneller Expertenrollen verschwimmen und öffnet neue Möglichkeiten für eine flexiblere Zusammenarbeit zwischen Mensch und Maschine. In einer technologiegetriebenen Arbeitswelt ist der Mensch daher nicht weniger relevant – im Gegenteil, er wird durch GenAI befähigt, eine zentrale und zugleich flexiblere Rolle in einer neuen Form der Zusammenarbeit einzunehmen.

Vielen Dank, Georgina, für deine Zeit!

Für alle, die sich für das Whitepaper interessieren, hier entlang.

Interview: Markus Sekulla


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Autor: Markus Sekulla, Digitalberater

Hi, ich bin Markus. Ich bin freiberuflicher Unternehmensberater im Bereich Kreative/Digitale Kommunikation. Ich befasse mich in der nicht immer trennscharfen Frei- und Arbeitszeit am liebsten mit New Work, Trends, Gadgets und zukunftsfähigen Ideen. In der richtigen Freizeit bin ich ein ziemlicher Gesundheitsfreak: eat, run, sleep, repeat.

Markus Sekulla  – Freiberuflicher Digitalberater

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