Digitalisierung & Technologie, 02. August 2022

„Process Mining ist ein Enabler unserer digitalen Transformation“

Interview mit Victor Thoma, Head of Process Mining bei ERGO

Victor Thoma, Head of Process Mining bei ERGO

Nach Zukunftstechnologien wie Voice, Robotics und KI erschließt ERGO nun auch das Thema Process Mining und hat hierfür sogar eine eigene Unit gegründet. Victor Thoma, Head of Process Mining bei ERGO, erklärt, wie er und sein Team genau vorgehen, um Prozesse transparent zu machen – und wie dadurch Kunden, Fachbereiche und ERGO insgesamt profitieren.

Hallo Victor, was genau ist Process Mining überhaupt?

Im Kern ist Process Mining eine Technologie, die uns in der Prozesssteuerung und insbesondere in der Prozessoptimierung unterstützt. Wir als Unternehmen möchten unsere Prozesse konstant im Sinne unserer Kunden verbessern und etwa die Zeit bis zur Auszahlung eines Schadens reduzieren. Der erste Schritt bei einer solchen Optimierung ist erstmal, Transparenz über die aktuellen Prozessabläufe herzustellen und insbesondere die Abweichungen vom Soll-Prozess zu analysieren.

In der Vergangenheit haben wir uns hierfür stichprobenartig einzelne Fälle anhand einer Akte angeschaut und versucht, den Verlauf zu rekonstruieren. Bei vielen Millionen Prozessen pro Jahr bekommt man hier natürlich immer nur einen kleinen Einblick – und nicht die volle Transparenz. Mit Process Mining sind wir nun jedoch in der Lage, jeden einzelnen Fall basierend auf den Datenpunkten in unseren IT-Systemen zu rekonstruieren und zu visualisieren. Somit können wir leicht die Ursache für Abweichungen herausfinden. Man könnte das mit einer Taschenlampe vergleichen, die es uns ermöglicht, die tiefsten Ecken unserer Prozesse auszuleuchten.

Die einzelnen Fälle werden ganz leicht anhand von drei Kern-Datenpunkten rekonstruiert, die wir entweder über einen Datenextrakt oder eine automatische Verbindung in unser Process Mining-Tool „Celonis“ übertragen. Wir benötigen lediglich eine eindeutige ID – eine Schadennummer – sowie die interessanten Prozessaktivitäten – etwa eine Überweisung – und den Zeitpunkt, wann diese Aktivität zu dieser ID stattgefunden hat. 

Process Mining ist vergleichbar mit einer Taschenlampe, die es uns ermöglicht, die tiefsten Ecken unserer Prozesse auszuleuchten.

Victor Thoma, Head of Process Mining bei der ERGO Group

Was unterscheidet Process Mining von anderen Data-Mining-Methoden?

Im Vergleich zu klassischen Data-Mining-Methoden setzt Process Mining nicht auf der Daten- sondern auf der Prozessebene an. Die Ausgangsfrage ist dabei immer, wer sich welche Datenpunkte zu welchem Zweck anschaut. Nehmen wir das Beispiel „Next Best Action / Next Best Offer“ (NBA/NBO). Hier geht es darum, ein Angebot zu identifizieren, das statistisch am wahrscheinlichsten den aktuellen Bedürfnissen des Kunden entspricht. Wir alle kennen die Logik vom Online-Shopping mit Hinweis à la „Andere Kunden kauften auch …“. Hierfür würde man nachschauen, welche Themen für vergleichbare Kunden interessant gewesen sind.

Beim Process Mining geht es allerdings nicht darum, sichtbar zu machen, welches Angebot wir dem Kunden machen – sondern wie das Angebot prozessiert wurde. Wurde es etwa auf dem vorgesehenen Kanal geschickt, ist die Rückmeldung danach bei der richtigen Abteilung gelandet, hatte der Kunde noch eine Rückfrage und hat dazu im Call Center angerufen? Falls ja, könnten wir die Antwort auf diese Rückfrage vielleicht direkt im Angebot mit aufnehmen – und der Kunde müsste uns dazu gar nicht mehr anrufen. Es geht bei Process Mining also explizit um prozessuale Daten zur Steigerung unserer Prozesseffizienz und Kundenzufriedenheit.

Was soll sich durch Process Mining langfristig verändern?

Process Mining ist ein Enabler unserer digitalen Transformation. Denn schauen wir uns Prozesse im Detail an, ergeben sich häufig weitere Anwendungsfälle für Technologien wie Voice, KI oder Robotics. Somit steigern wir indirekt auch deren Nutzung – und kommen unseren Technologiezielen bei ERGO umso näher.

Darüber hinaus ist Process Mining ganz klar auch ein erster Schritt in Richtung „Data-driven Company“ – und zwar für eine enorm breite Anwenderschaft. Process Mining mit Celonis besticht nicht nur durch die neuen Erkenntnisse, sondern auch durch die einfache Nutzung in der breiten Masse. Früher konnten einzelne Prozesskennziffern teilweise auch bei der IT angefragt werden oder mussten mühsam über einzelne Abfragen zusammengerechnet werden. Jeder Fachbereich wird am Ende des initialen Projekts von uns in der Software geschult und hat anschließend einen nahezu Echtzeitblick auf seine gesamten Prozesskennziffern.

Langfristig wird das die Arbeitsweise unserer Abteilungen maßgeblich verändern, da sich jede Prozessveränderung sofort anhand konkreter Daten überprüfen lässt – und zwar, ohne auf die Zulieferung weiterer Abteilungen angewiesen zu sein. Der Fachbereich kann somit viel leichter und autonomer seinen Prozess überwachen und konstant optimieren. 

Vielen Dank für dieses Gespräch!

Text: Ingo Schenk


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