Digitalisierung & Technologie, 17. November 2023

Der digitale Euro – die nächste Revolution im Finanzwesen?

Digitales Zahlungsmittel für alle

Euro

Es wäre eine unscheinbare Revolution: Den digitalen Euro könnte man weder sehen noch anfassen. Aber zum ersten Mal hätten wir ein körperloses Geld, das verwendbar wäre wie Scheine und Münzen. Wir geben einen Überblick über Vorteile, Bedenken und den Stand der Dinge.

Kommt der digitale Euro? Am 18. Oktober 2023 gab der Rat der Europäischen Zentralbank grünes Licht für den Start einer zweijährigen Vorbereitungsphase, nach deren Ablauf ein Konzept für digitales Bargeld in der Eurozone entscheidungsreif sein soll.

Die Vorstellung von digitalen Währungen ist bislang vor allem von Kryptowährungen wie dem 2009 geschaffenen Bitcoin geprägt. Beim digitalen Euro handelt es sich aber um ein grundlegend anderes Projekt.

Digitaler Euro – was soll das sein?

„Wir sehen einen digitalen Euro als eine digitale Form von Bargeld, mit der sämtliche digitale Zahlungen kostenlos möglich und die höchsten Datenschutzstandards erfüllt sind.“ So charakterisiert EZB-Chefin Christine Lagarde das neue Zahlungsmittel. Wie muss man sich das vorstellen?

Der digitale Euro soll konventionelles Bargeld keinesfalls ersetzen, sondern für verschiedene Anwendungsbereiche ergänzen. So wie die EZB in Zusammenarbeit mit den nationalen Notenbanken auch bisher Geld emittiert – Scheine druckt, Münzen prägt, Banken Kredite gewährt –, so soll sie künftig auch Geld schaffen, das nur in digitaler Form existiert. Dieser digitale Euro hat denselben Wert wie der konventionelle Euro und ist jederzeit in konventionelle Euros umtauschbar. Die technologische Grundlage des digitalen Euro steht derzeit noch nicht im Detail fest.

Wie konventionelles Bargeld können die Banken dann auch digitale Euros von der EZB beziehen und ihrer Kundschaft zur Verfügung stellen. Der Umgang mit diesem digitalen Geld unterscheidet sich aber von dem, was wir gewohnt sind.

Wie funktioniert der digitale Euro?

Um den digitalen Euro zu nutzen, braucht man eine digitale Geldbörse, „Wallet“ genannt. Die ähnelt ein wenig den Apps der diversen Smartphone-Zahlungssysteme, die es derzeit gibt. Tatsächlich kann auch die digitale Geldbörse als App auf dem Smartphone oder dem Computer installiert werden. Alternativ kann sie aber auch in Form einer Zahlkarte genutzt werden; diese ähnelt in der Funktion dann der aufladbaren Geldkarte.

Der digitale Euro wird den Besitzern in deren digitaler Geldbörse gutgeschrieben und kann dann aus der App oder von der Zahlkarte für elektronische Zahlvorgänge genutzt werden – im Internet, in Geschäften, aber auch zwischen Privatpersonen.

Die Einzelheiten der Funktionalität müssen noch entwickelt werden. Es wird voraussichtlich eine spezielle App für den digitalen Euro geben; Banken und andere Finanzdienstleister könnten die Funktion aber auch in ihre eigenen Apps integrieren.

Nach den Vorstellungen der Europäischen Kommission soll der Handel dazu verpflichtet sein, digitale Euros anzunehmen, und Banken müssen ihrer Kundschaft digitale Euros anbieten.

Was ist der Unterschied zu heutigen Formen des elektronischen Bezahlens?

Die derzeit verbreiteten Formen des bargeldlosen Zahlens funktionieren nur, wenn man Kunde bei einer Bank oder einem anderen Finanzdienstleister ist. Der digitale Euro dagegen kann grundsätzlich auch ohne Konto genutzt werden.

Um mit der App oder der Zahlkarte zu zahlen, ist keine Datenverbindung zur Bank nötig – weder für den Käufer noch für den Verkäufer. Zum Konzept des digitalen Euro gehört die Forderung, dass Transaktionen wahlweise immer auch offline möglich sein müssen. Dann werden digitale Euros, die nur auf dem Smartphone oder auf der Zahlkarte des Käufers gespeichert sind, über eine Schnittstelle in Echtzeit direkt in die Wallet des Verkäufers übertragen, ohne dass irgendein Finanzunternehmen beteiligt oder informiert wäre. Der digitale Euro funktioniert dann also tatsächlich wie Bargeld – es ist, wie wenn ein Geldschein von Portemonnaie zu Portemonnaie wandert. Voraussetzung ist, dass sich in der Wallet genügend digitale Euro für die Zahlung befinden.

Der Online-Zahlmodus hingegen funktioniert so ähnlich wie bei den heute bekannten Verfahren des bargeldlosen Bezahlens. Er ermöglicht Käufe in Situationen, wo es nicht möglich ist, Smartphone und Zahlterminal in Kontakt zu bringen, wie zum Beispiel in Online-Shops. Hier ist in der Regel eine Bank mit der technischen Abwicklung der Überweisungsprozesse betraut. Dafür muss bei dieser Bank aber kein Konto eröffnet werden.

Warum soll der digitale Euro kommen? Die Vorteile

Die Währungshüter der EZB machen sich seit langem Sorgen wegen der zunehmenden Abhängigkeit Europas von privaten Finanzdienstanbietern wie beispielsweise PayPal, die vor allem aus den USA stammen. Darüber hinaus wird in vielen Ländern derzeit über Digitalwährungen nachgedacht. Wenn die irgendwann eingeführt werden und sich im Alltag bewähren, steht zu befürchten, dass sie auch im Euroraum eingesetzt werden und dabei den Euro destabilisieren, wenn es kein europäisches Gegenstück gibt. Der digitale Euro soll also die Finanzstabilität und die Finanzsouveränität des Euroraums sichern.

Das sind die politischen Überlegungen. Der digitale Euro könnte aber auch ganz praktische Vorteile mit sich bringen:

  • Digitales Zahlungsmittel für alle
    Elektronische Bezahlvorgänge werden im Alltag immer wichtiger. Der digitale Euro gibt allen kostenlosen Zugang zu digitalen Finanzdienstleistungen – man braucht prinzipiell weder Bankkonto noch Smartphone oder einen Internetzugang.
  • Datenschutz
    Der digitale Euro bietet die Möglichkeit, anonym zu zahlen. Banken und Finanzdienstleister haben keinen Zugriff auf Zahlungsinformationen, wenn Verbraucher das nicht wollen. Die Europäische Kommission hat für das Verfahren auch die Forderung aufgestellt, dass weder die EZB selbst noch nationale Zentralbanken die Nutzer des digitalen Euros identifizieren können dürfen.
  • Vereinfachung für Verbraucher und Handel
    Der digitale Euro kann langfristig kommerzielle Zahlungsanbieter in Nischen abdrängen. Händler und Käufer brauchen sich dann nicht mehr mit einem halben Dutzend Zahlungsmöglichkeiten herumzuschlagen, denn der digitale Euro als Zahlungsmittel funktioniert immer. Auf jeden Fall wird die Verhandlungsposition von Händlern gegenüber Zahlungsdienstleistern wie z.B. Kreditkartenunternehmen gestärkt.
  • Finanzinnovation
    Der digitale Euro kann weitere Finanzinnovationen im Euroraum anstoßen. Bislang scheitert das auch an der starken Marktstellung US-amerikanischer Finanzdienstleister. Mit dem digitalen Euro werden die Karten neu gemischt.
  • Widerstandsfähigkeit
    Der digitale Euro erhöht die Widerstandsfähigkeit des Finanzsystems gegenüber Cyberangriffen und technischen Störungen. Die in Wallets hinterlegten Euro funktionieren auch dann noch, wenn etwa die Zahlungssysteme von Banken lahmgelegt sind.
  • Geschwindigkeit
    Die Zahlungen mit digitalen Euro sind Zahlungen in Echtzeit.
  • Erweiterte Marktchancen für Banken
    Der digitale Euro wird über die Banken des Euroraums an Wirtschaft und Verbraucher verteilt. Wer ihn außerhalb des Euroraumes nutzen möchte, muss nach den derzeitigen Planungen der Europäischen Kommission ein Konto bei einer Euro-Bank besitzen. Dadurch steigt die Attraktivität der Banken für internationale Kunden.
  • Stabiler als Kryptowährungen
    Bitcoin & Co. werden dezentral und anonym verwaltet. Das hat den Nachteil, dass niemand wirklich für die Stabilität der Währung verantwortlich ist. Der digitale Euro wird von der Europäischen Zentralbank administriert. Sie ist auf das Gemeinwohl verpflichtet; ihre Leitung ist der Gesellschaft Rechenschaft schuldig, ihre Tätigkeit wird von Politik und Öffentlichkeit kritisch überwacht. 
     

Die andere Seite – Bedenken

Kein Licht ohne Schatten – vor der möglichen Einführung des digitalen Euros gibt es auch Bedenken.

Die Interessenverbände der Banken begrüßen zwar grundsätzlich die Überlegungen zum digitalen Euro. Es gibt aber durchaus auch Besorgnis. Was wird aus dem Einlagengeschäft der Banken, wenn Kunden digitale Euro künftig vielleicht lieber in ihrer Wallet selbst halten, statt sie auf einem Bankkonto zu deponieren? Aus diesen Erwägungen heraus fordern die Vertreter der Banken eine Obergrenze für den Betrag, den Privatleute in ihren Wallets halten dürfen.

Obergrenzen sind aber auch noch aus einem anderen Grund im Gespräch. In Krisenzeiten könnten Kundinnen und Kunden in den digitalen Euro flüchten und ihre Banken durch plötzlichen Abfluss von Einlagen in höchste Gefahr bringen. Die Umwandlung des Geldes auf einem Konto in digitale Euro und der Transfer in die digitale Wallet wird vermutlich viel einfacher sein, als sich in eine Schlange vor einen Bankautomaten zu stellen – der Bank Run per Mausklick könnte während einer Bankenkrise die Situation dramatisch verschärfen. Aus diesem Grund wird es vermutlich tatsächlich eine Obergrenze für den Besitz von digitalen Euros geben.

Von zentraler Bedeutung schließlich wird die Akzeptanz durch die Menschen sein. Dafür muss vor allem Vertrauen in die Sicherheit der Technik geschaffen werden. 

Digitaler Euro – Stand der Dinge

Die EZB beendete die 2021 eingeleitete Voruntersuchungsphase im Oktober 2023 mit einem Abschlussbericht („A Stocktake on the Digital Euro“). Schon im Juni hatte die Europäische Kommission ihre Vorschläge für den rechtlichen Rahmen der Einführung des digitalen Euros vorgelegt.

Die EZB beginnt nun eine zweijährige Vorbereitungsphase, in der das Regelwerk fertiggestellt und die technologischen Fragen geklärt werden sollen. Auch sollen schon Anbieter ausgewählt werden, die die technologische Infrastruktur entwickeln und aufbauen könnten.

Parallel geht es darum, den rechtlichen Rahmen im Detail auszuarbeiten, so dass nach Ablauf der zwei Jahre zügig eine endgültige Entscheidung über die Einführung des digitalen Euro getroffen werden kann.

Wenn der Startschuss fällt, kann der Aufbau der Infrastruktur beginnen. Für diese Phase sind zwei weitere Jahre veranschlagt. Frühestens 2028 könnte der digitale Euro also eingeführt werden. Auch Revolutionen brauchen ihre Zeit.

Text: Thorsten Kleinschmidt


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