Einfach, weil's wichtig ist.
Einfach, weil's wichtig ist.
Sport & Gesundheit, 05. September 2024
Der Traum vom ewigen Leben ist mindestens genauso alt wie der Traum vom Fliegen. Zurzeit entsteht eine Multi-Milliarden-Dollar-Industrie nach der nächsten, die sich damit beschäftigt, Menschen die neuesten Vitamine, die trendigsten Fitnessgeräte und die relevanten Informationen zuzuspielen, die sie benötigen, um unsere im internationalen Vergleich mittelmäßige, aber in Bezug auf die bisherige Weltgeschichte hohe Lebenserwartung (derzeit 78,3 Jahre (Männer) beziehungsweise 83,2 Jahre (Frauen) in Deutschland) zu verlängern. Unser //next Autor Markus Sekulla hat sich die Versprechen und Möglichkeiten genauer angelesen.
Bei einem Decaf-Kaffee in einem angesagten Düsseldorfer Café und der Lektüre meines Leib-und-Magen-Magazins „Die Reportagen“ bin ich über eine vielversprechende Überschrift gestolpert: „Wenn man es schafft, bis 2045 zu leben, hat man gute Chancen, gar nicht mehr sterben zu müssen.“ Das Emoji mit den großen Augen würde hier gut zu meinem Gesichtsausdruck passen. Der erste Gedanke: Hoffentlich sterbe ich bis dahin nicht an irgendeiner Lappalie oder einer undurchdachten Aktion wie dem Schwimmen in der Seine. Stand heute möchte ich noch richtig lange gesund leben, schon allein um zu wissen, ob Hannover 96 noch mal deutscher Meister wird.
Aus welcher Perspektive man es betrachtet, Altern oder besser das Vermeiden desselbigen ist ein Thema mit steigender Relevanz. Und man liest überall über dieses „Longevity“: Auch in der Apotheken Umschau findet sich das Thema immer häufiger. Dort wurde kürzlich über Brian Johnson, einen der Langlebigkeitsgurus aus den USA, berichtet. Eigentlich passt das Thema dort auch gut hin, denn Hand aufs Herz, Longevity sollte die Zielgruppe des Magazins so interessieren wie Mitzwanziger Taylor Swift-Konzertkarten.
Nachdem ich viele Bücher und zahlreiche Podcasts zu dem Thema verschlungen habe – Empfehlungen siehe unten – gibt es heute (Stand: August 2024) keine seriöse Möglichkeit, das Sterben zu verhindern. Will man das Altern aufhalten, so sieht die Wissenschaft schon mehr beeinflussbare Faktoren. Die größte Herausforderung bei dem Thema ist das Filtern von Informationen. Es gibt zahllose Influencer, die uns ihre Hacks auf TikTok, Instagram, YouTube und immer mehr auch auf LinkedIn näherbringen wollen. Was stimmt oder was nicht, lässt sich leider nicht so leicht sagen, da wir Menschen alle ziemlich verschieden sind. Wir haben zwar alle die gleiche DNA, aber unterschiedliche Gene. Vieles ist also nur ein riesiges Geschäft mit Produkten und Aufmerksamkeit. Tiefer einzutauchen, lohnt sich.
Wer keine Zeit für seine Gesundheit aufbringt, wird Zeit für seine Krankheit aufbringen, das scheint sonnenklar.
Wie sollte ich mich also dem Projekt „Gesunde zweite Lebenshälfte“ nähern? Als guten Startpunkt empfinde ich die klassische Unterscheidung von krank oder gesund. So wie die moderne Medizin das im Moment sieht, gibt es diese beiden Pole. Entweder man ist gesund –> keine Handlung, oder man ist krank –> abwarten, Medikamente oder Chirurgie.
In der Literatur, unter anderem bei Peter Attia M.D., hat sich eine Betrachtung des Spektrums zwischen eins und zehn etabliert, wobei zehn optimale Gesundheit bedeutet. Nur weil man nicht als klinisch krank gilt, muss man noch lange nicht bei guter Gesundheit sein. Ein Ziel könnte es also sein, sich möglichst lange bei optimaler Gesundheit zu halten. Hemdsärmelig ausgedrückt sollte man nicht erst nach dem klassischen Schuss vor den Bug seinen Lebenswandel ändern. Wer keine Zeit für seine Gesundheit aufbringt, wird Zeit für seine Krankheit aufbringen, das scheint sonnenklar.
Attia beschreibt die Gemengelage in seinem Buch „Outlive“ mit einem schönen Bild: Das Leben ist wie die Fahrt der Titanic. Ist man erstmal bei schlechter Gesundheit, befindet man sich bereits im Eisfeld und wird dann auf kurz oder lang unweigerlich gegen einen Eisberg fahren, also eine schwerwiegende Krankheit bekommen. Würde man jedoch den Kurs der Titanic und seiner Gesundheit einige Tage (Jahre/Jahrzehnte) vor dem Unglück um nur drei Prozent ändern, würde man gar nicht ins Eisfeld hineinfahren – was jedoch immer noch nicht die Fahrt gegen einen Eisberg ausschließen würde.
Die riesigen Eisberge sind vor allem die oft so betitelten „Four Horsemen of Death“, die vier großen Sozialisationskrankheiten, auf deren Konto die meisten Todesfälle in der industrialisierten Welt gehen. Diese sind Herzkrankheiten, Krebs, Alzheimer und Diabetes.
Gegen die Kollision mit einem der Eisberge kann man bei dem einen mehr, bei dem anderen jedoch leider weniger tun. So haben Wissenschaft, Medizin und Pharma recht gute Wege gefunden, Herzkrankheiten präventiv zu behandeln, während die Situation bei Alzheimer immer noch sehr schlecht aussieht. In jedem Fall hilft es, sich mit dem Thema zu beschäftigen und die eigenen Voraussetzungen zu kennen. Dazu zählen – um nur einige wenige zu nennen – Biomarker im Blut (Glucose- oder PSA-Werte) und Merkmale in der DNA (Alzheimer), um seine individuellen Risikofaktoren zu evaluieren. Nur zu schauen, welche Krankheitsfälle in der Familie vorkommen, reicht heute als Einschätzung nicht mehr aus. So zitiert David Sinclair – ein anderer Influencer in dem Bereich und dekorierter Wissenschaftler – in seinem Buch „Lifespan“ eine Studie, die bei eineiigen Zwillingen herausgefunden hat, dass das Erbgut beim Thema Langlebigkeit nur eine 10- bis 15-prozentige Rolle spielt. Das hätte ich persönlich viel höher eingeschätzt. Es muss also andere Stellschrauben geben.
Zurzeit fließt viel Geld in die Lenglebigkeitsforschung. Dabei betrachtet man verschiedene Enden, die auf uns manchmal profan, manchmal skuril wirken. Nicht nur, welches Obst wir am besten in unserem Frühstücksmüsli haben sollten, um eine optimale Vitaminzusammensetzung für den Tag zu haben, sondern auch, welche Viren wir uns spritzen lassen müssten, sodass unsere gealterten Zellen wieder jung werden, was ein potenziell ewiges Leben möglich machen könnte* (Lifespan, Sinclair).
Auf dem Biohacker Summit in Helsinki habe ich vor einigen Wochen einen kurzweiligen Vortrag von Dr. Olli Sovijärvi gehört, der seine Top-10-Longevity-Habits beschrieben hat. Eine kurze Zusammenfassung:
A) Schlaf optimieren und den zirkadianen Rhythmus beachten
Sieben bis acht Stunden qualitativ hochwertiger Schlaf pro Nacht sind der Beginn jeder Longevity-Diskussion. Andere tägliche Aktivitäten sollten auf die natürlichen zirkadianen Rhythmen abgestimmt werden, um die kognitive Funktion zu verbessern, Entzündungen zu reduzieren und metabolische Prozesse zu unterstützen.
B) Tägliche körperliche Aktivität und Zeit in der Natur
Tägliche Bewegung soll es sein. Dabei sollte man sein VO2 Max im Auge behalten und kräftigende Übungen machen. Zudem ist Zeit in der Natur ein guter Booster, um die Herz-Kreislauf-Gesundheit zu verbessern, die Stimmung zu heben und das Immunsystem zu stärken.
C) Personalisierte Ernährung und gezielte Ergänzung
Die mediterrane Ernährung gilt als Goldstandard, wenn möglich in einem 8-Stunden-Esszeitraum und 16-Stunden-Fastenzeitraum. Diese wird mit personalisierten Nahrungsergänzungsmitteln unterstützt.
D) Meditation, Wärmeanpassung und gemäßigte Sonnenlichtexposition
Meditation, Sauna und regelmäßige Sonnenlichtexposition (morgens einige Minuten direkt ins Gesicht mit geschlossenen Augen und später maximal 20 Minuten ungeschützt) bauen Stress ab, fördern mentale Gesundheit und unterstützen die Zellreparatur.
Bitte beachten, dass dies keine generellen medizinischen Hinweise sind und man für personalisierte Empfehlungen am besten mit der eigenen Ärztin, dem eigenen Arzt sprechen sollte.
Zum Weiterlesen und -hören
Zwei Bücher, die man lesen sollte: „Outlive“ von Peter Attia M.D. und „Lifespan“ von David A. Sinclair PhD. Mein Tipp ist es, die Bücher in dieser Reihenfolge zu lesen, da „Outlive“ eher anekdotischer aufgebaut ist und das nötige Vorwissen zum Verständnis von „Lifespan“ bietet.
Dazu gibt es einige Podcast-Folgen:
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