Digitalisierung & Technologie, 14. Dezember 2020

Aus „Hotline“ wird „BOT-line“

ERGO CDO Mark Klein über Voice-Technologie

ERGO CDO Mark Klein

Bei ERGO experimentieren wir seit Jahren mit Voice, hatten die erste rein per Stimme abschließbare Versicherungspolice überhaupt – und inzwischen einige Awards in der Vitrine. Eine Anwendung aber – die auf den ersten Blick wenig preisverdächtig wirkt – fängt bei uns gerade an zu glühen: Wir verbinden eines der ältesten Kommunikationsmedien der Welt mit der Voice-Technologie.

Per Live Chat, per Social Media, per Mail, aber auch persönlich – ein moderner Service muss Kunden auf vielen Kanälen bedienen können. Insbesondere Mail und Chat werden bei jüngeren Zielgruppen immer beliebter. Und trotzdem bleibt bei vielen Kunden ein fast 160 Jahre altes Medium immer noch erste Wahl. 16.000 Anrufe täglich gehen bei den ERGO Hotlines ein. Menschen lieben es zu telefonieren – es ist persönlicher und direkter.

Auch ich greife gerne zum Telefonhörer – ob im Büro oder privat bei meinem Telekommunikationsanbieter. Zwar hat das Routing per Chat-Bot inzwischen ein passables Niveau erreicht. Aber das Telefon verspricht mir immer noch, schnell zu meiner Lösung zu kommen. Das Problem beginnt, wenn die automatische Hotline-Stimme freundlich erläutert, dass es heute länger dauern wird.

Wir bieten fallabschließende Dialoge an, in denen der BOT dynamisch – und ohne Wartezeit – auf den Kunden reagiert.

Mark Klein, CDO ERGO Group

Smarte Interactive Voice Response Technologie

Genau an dieser Stelle docken wir bei ERGO unsere smarte Interactive Voice Response Technologie an. Sind Kunden bereit, mit einem künstlichen Kundenberater zu sprechen, bieten wir immer flüssigere, fallabschließende Dialoge mit dynamisch generierter Sprache anstelle der gängigen Mehrfrequenzverfahrens mit „dann sagen Sie Vertrag“ oder „drücken Sie 2“ an.

Der Bot antwortet auf das Anliegen des Kunden, der z.B. sagt, „Ich melde einen Kaskoschaden“, mit: „Handelt es sich um Ihr Auto oder ein anderes Fahrzeug?“. So entstehen Dialoge mit zehn oder mehr Interaktionen. Via Microservices binden wir zudem Datenschnittstellen an, so dass die Maschine alle vorhandenen Informationen zum Telefonanlass in Echtzeit aus den Backend-Systemen ziehen und in den Dialog einbauen kann.

Aber wollen Menschen überhaupt mit einem Sprachcomputer reden? Ja! 60 Prozent der Befragten würden sich am Telefon bei der Wahl zwischen einem Menschen und einem Sprachassistenten für den Sprachassistenten entscheiden. Das hat eine aktuelle Umfrage im Rahmen unseres ERGO Risiko-Reports ergeben.

Hagelschäden sind selten, aber wenn, laufen die Telefone heiß 

Live im Einsatz haben wir einen Bot, der Kunden bei Blechschäden durch Hagelschaden weiterhilft. Das kommt nicht oft vor, aber wenn dann sind viele Versicherte auf einmal betroffen und die Hotline läuft heiß. Lange Wartezeiten sind leider programmiert, es sei denn, ich bin mit einem virtuellen Serviceberater einverstanden.

Der Dialog mit der Maschine startet direkt ohne Wartezeiten und ist fallabschließend. Am Ende wurde die Schadenanzeige für das Auto aufgenommen und an das Eingangsmanagement weitergereicht. Dort wartet der nächste Prozessroboter auf seinen Einsatz. Aber dazu – zu Robotic Process Automation – komme ich in einem späteren Artikel separat.

Eine weitere Anwendung ist in der Krankenversicherung in Betrieb. Privat Krankenversicherte zahlen die Arztrechnungen erst einmal selbst. Dann reichen sie diese zur Erstattung bei der Versicherung ein. Viele Kunden rufen an, um den aktuellen Bearbeitungsstand zu erfragen. Eine ideale Umgebung für den Phonebot, da es sich um repetitive Anrufe handelt. Name oder Kundennummer nennen und schon sagt die virtuelle Stimme, wie weit die Bearbeitung ist. 

Der Designvorgang ist komplex, die Software ist allein auf fast 900 Begriffe trainiert, mit denen der Kunde zu seinem Vertrag in den Dialog treten kann.

Mark Klein, CDO ERGO Group

Entwicklungsplattform korrespondiert mit Amazon und Google

Wir entwickeln und trainieren die Sprachanwendungen auf einer Plattform, die direkt an die Sprachtechnologien wie bspw. TTS und SST von Google angebunden sind. Ein Vorteil, denn so werden unsere Dialoge vollständig anonym über eine automatisierte Spracherkennung und eine Sprachverständnis-KI interpretiert. 

Mit jeder Anwendung lernen wir so hinzu und können Dialoge immer „flüssiger“ machen. Der Designvorgang, durchgeführt durch unseren Fachbereich „Voice & Conversation“, ist jedoch komplex. Die Software ist allein auf fast 900 Begriffe trainiert, mit denen ein Kunde zu seinem Vertrag in den Dialog treten kann. Codierung 71 ist „Vertragserweiterung“, Codierung „869“ ist „Bankwechsel“.

Die Baupläne erstellen wir im Dialogmanagementsystem „Parloa“ unseres strategischen Partners Future of Voice – besser gesagt wird hier die konkrete Businesslogik für den Umgang mit Kundenanfragen implementiert. Am Ende steht ein robuster, digitaler Assistent. Sein Wissen muss nur einmalig antrainiert werden und ermöglicht eine konsistente Nutzererfahrung über alle Kommunikationskanäle hinweg. Der Kunde kann sich überall auf das gleiche Qualitätslevel und dieselbe Brand-Persönlichkeit verlassen.

Sprachassistenten schaffen den Mitarbeitern Freiräume

Wer „persönlichen“ Kontakt will, dem ist mit einem Phonebot nicht geholfen. Wer aber ohne Wartezeit sein Anliegen lösen möchte, für den haben wir eine schnelle und immer zuverlässigere Lösung im Angebot. Wichtig ist uns: Der Phonebot ist nur eine zusätzliche Serviceoption. Ein Absprung hin zum nächsten (menschlichen) Kundenservicemitarbeiter ist jederzeit möglich, falls es zu Problemen in der Sprachverständigung kommt.

Neben dem Verkürzen von Wartezeiten haben unsere Sprachassistenzlösungen noch eine weitere Aufgabe. Sie sollen den (echten) Servicemitarbeitern die Freiräume schaffen, die sie für Kundengespräche mit höherem Beratungsaufwand benötigen. Aber zur Wahrheit gehört auch, dass viele Kunden trotz funktionierender BOT-Dialoge noch fremdeln. Wir Menschen sind noch nicht allzu eingespielt dabei, mit einer künstlichen Intelligenz zu telefonieren.

Zur Wahrheit gehört auch, dass manche Kunden bei Phonebots noch fremdeln. Wir Menschen sind es nicht gewohnt, mit einer künstlichen Intelligenz zu telefonieren.

Mark Klein, CDO ERGO Group

Baupläne für Digitalanwendungen als SaaS

Die Telefonie hatten wir nicht im Kopf, als wir 2016 mit dem Thema Voice gestartet sind. Inzwischen haben wir mit den Phonebots eine vollkommen neue Dimension erreicht, auch wenn wir hier noch am Anfang stehen. Was uns besonders freut und bestätigt: Wir werden vermehrt angefragt, unsere Baupläne für die Dialoganwendungen als SaaS (Software as a Service) Dritten zur Verfügung zu stellen. Das Interesse an der Kombination Phone und Bot ist riesengroß.

Auch innerhalb der ERGO Gruppe sind die Produkte gefragt und wir entwickeln aktuell Lösungen für die Märkte Indien und Spanien. Außerdem freuen wir uns über einen weiteren Award: Für unsere „multi-channel Conversational AI Plattform für Sprachassistenzlösungen“ gab es den zweiten Platz in der Kategorie „Project“ beim Digital Leadership Award. Herzlichen Glückwunsch an das Team!

Text: Mark Klein, CDO ERGO Group


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Autor: Mark Klein, CDO ERGO Group

Mark Klein ist seit 2016 der Chief Digital Officer von ERGO. Zuvor war er bei T-Mobile Netherlands. Seine Hauptaufgabe bei ERGO ist die digitale Transformation des traditionellen Geschäfts im In- und Ausland. Zudem etabliert er neue, digitale Geschäftsmodelle.

Mark Klein – Chief Digital Officer – ERGO Group

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