Strategie & Geschäftsfelder, 22. Mai 2024

Vereinfachung – eine Antwort auf die Herausforderungen der VUCA-Welt

Auf welchen Gebieten können Unternehmen vereinfachen?

Fragezeichen

Unsere Welt wird immer komplexer. Mit „VUCA“ – kurz für „Volatility, Uncertainty, Complexity, Ambiguity“ – gibt es inzwischen sogar ein Akronym, das wichtige Treiber dieses Trends in einem Wort zusammenfasst. Doch was lässt sich dem entgegensetzen?

Das Gegenteil von „Komplexität“ ist „Einfachheit“. ERGO hat dies früh erkannt und sich mit dem Markenkern „ERGO macht Versichern einfacher“ selbst einen Kompass gegeben für alle Begegnungen mit der Marke ERGO. Unser Markenkern beschreibt in einem Satz unser Geschäft, unsere Kompetenz und den Kundennutzen.

„Warum das so wichtig ist? Weil es für die Menschen bei Versicherung um sehr viel geht“, sagt zum Beispiel Imke Jendrosch, Chief Marketing Officer bei ERGO. Denn Versicherungen bieten Schutz für all das, was im Leben wirklich wichtig ist – die Familie, das Haus, die Gesundheit oder auch die lang ersehnte Traumreise. Und davon darf einen nichts abhalten. Keine komplizierten Prozesse. Kein unnötiger Papierkram. Kein Hin und Her. Eben weil es für die Menschen um so viel geht, muss Versichern ganz einfach sein.

In diesem Beitrag blicken wir über den Tellerrand der Versicherungsbranche hinaus und versuchen, den Nutzen von „Vereinfachen“ für Unternehmen im Allgemeinen herauszuarbeiten. Denn die VUCA-Welt beeinflusst das allgemeine Wirtschaftsgeschehen und verlangt nach Lösungen, mit denen die zunehmende Komplexität händelbar wird.

Die Herausforderungen der VUCA-Welt

VUCA bezeichnet die Herausforderungen, vor die Unternehmen sich heute häufig gestellt sehen. Die rasante Veränderung von Märkten, Technologien und Kundenbedürfnissen macht es schwierig, langfristige Strategien zu planen. Die Unsicherheit in Bezug auf politische Entwicklungen und Naturkatastrophen erschwert die Risikovorhersage. Die Komplexität von globalen Lieferketten und multidimensionalen Problemen erfordert flexible Lösungsansätze. Die Vieldeutigkeit von Informationen und Meinungen macht es schwer, fundierte Entscheidungen zu treffen. So viel ist klar: In dieser dynamischen Umgebung ist es wichtig, agil zu sein, innovativ zu denken und sich schnell anzupassen, um erfolgreich zu bleiben. Nur wie?

Vereinfachung als Antwort auf die VUCA-Problematik

Ein Übermaß an Komplexität überfordert die Verarbeitungskapazität von Menschen und Unternehmen. Wir haben das Gefühl, den Entwicklungen nur noch hinterher zu hecheln und Entscheidungen auf gut Glück zu treffen. Um wieder festen Boden für unser Handeln unter uns zu spüren, müssen wir vereinfachen.

Achtung, hier könnte ein erstes Missverständnis entstehen: Vereinfachung bezieht sich dabei nicht auf die Umwelt des Unternehmens – die ist komplex und bleibt es. Wir können nicht die Welt vereinfachen, aber wir können vereinfachen, wie wir auf sie reagieren.

Je verwirrender die Komplexität der Umwelt scheint, desto wichtiger ist es, sich nicht mit Unwichtigem aufzuhalten und gleichzeitig Bearbeitungsroutinen aufzugeben, die alles noch komplizierter machen.

Auf welchen Gebieten können Unternehmen vereinfachen?

Vereinfacht werden kann prinzipiell in allen Arbeitsbereichen eines Unternehmens. Ein paar Beispiele:

Prozesse und Abläufe

Gibt es Arbeitsabläufe, die unnötig kompliziert sind? Können Prozess-Schritte weggelassen werden? Ist es möglich, Abläufe flexibel zu gestalten, sodass sie sich ohne weiteren Aufwand an variable Umweltbedingungen anpassen können (Agilität)?

Kommunikation

Werden Aufgaben, Ziele und Zuständigkeiten klar kommuniziert? Kommunikationsprobleme führen oft zu Mehrarbeit und zusätzlichem Koordinierungsaufwand.

Technologie

Die parallele Nutzung verschiedener Technologien für ähnliche Aufgaben schafft oft unnötige Reibungsverluste. Langfristig kann eine Vereinheitlichung sinnvoll sein. Aber Achtung: Technologiewechsel können kurzfristig viele Ressourcen binden und verursachen dann eher mehr Komplexität.

Produktangebot

Manchmal ist es sinnvoll, das Produktangebot zu vereinfachen, um die Vermarktung zu erleichtern und die Rentabilität zu verbessern.

Organisationsstruktur

Komplizierte Strukturen sind oft eine Ursache für langsame Entscheidungsfindung. Können Hierarchien reduziert und Verantwortungen klarer verteilt werden

Strategie

Um handlungsfähig zu bleiben, sollten Strategie-Entwickler nicht versuchen, künftige Entwicklungen auf dem Markt, in der Gesellschaft, bei den Technologien möglichst exakt zu prognostizieren. In einer VUCA-Welt ist das ein hoffnungsloses Unterfangen. Wichtiger ist es, das eigene Unternehmen gut zu verstehen: Wer sind wir? – Was wollen wir? – Was können wir? Wenn das klar ist, kann auf die Wechselfälle der Umwelt schneller reagiert werden.

Auf all diesen und weiteren Feldern ist Vereinfachung keine neue Idee. Seit langem gibt es Management-Konzepte, die sich in der einen oder anderen Form damit beschäftigen, Komplexität in der Umwelt zu bewältigen und Komplexität im Unternehmen zu reduzieren; dafür stehen Namen wie Agilität, Lean Management oder Polynesisches Segeln.

Also alles ganz einfach? Nicht ganz. 


Agilität: 
Managementideal, das von Unternehmen fordert, sich nicht mit vermeintlichen eigenen Organisationszwängen zu beschäftigen, sondern mit ihrer Umwelt, auf die stets flexibel reagiert werden muss

Lean Management: 
Managementmethoden, die die effiziente Durchstrukturierung aller Prozesse zum Ziel haben

Polynesisches Segeln
Handlungsideal, das die Fähigkeit beschreibt, in unbekanntem Gebiet einen Kurs zu setzen, bei dem alle Ziele nur vorläufig sein können

Die Herausforderung: Wie vereinfacht man sinnvoll?

Die Strukturen innerhalb eines Unternehmens haben einen Sinn. Zumindest hatten sie den, als sie aufgebaut wurden. Manche Strukturen werden im Laufe der Zeit dysfunktional: Sie halten vielleicht mit der Entwicklung der Umwelt nicht Schritt; als Ergebnis von organisatorischem Wildwuchs werden Funktionen doppelt und dreifach abgebildet; oder bei der Strukturentwicklung standen andere als wirtschaftliche Aspekte im Fokus.

Wenn Unternehmen vereinfachen wollen, stehen sie unweigerlich vor der Frage: „Kann das weg, oder ist das wichtig?“

Was darf vereinfacht werden, und was nicht?

Um diese Frage zu beantworten, müssen Unternehmensverantwortliche und Mitarbeitende Strukturen genau in Augenschein nehmen. Vor der Vereinfachung kommt die Selbstanalyse. Das birgt eine gewisse Gefahr, da Selbstfindungsrunden jeder Art leicht ausufern können; trotzdem führt an diesem Prozess nichts vorbei.

  • Ziele und Erfolgsfaktoren kennen
    Welche Funktionen sind unabdingbar für die Erreichung der Unternehmenszwecke? Hier ist der kritische Bereich, an dem jede Vereinfachung endet: Strukturen können nur so weit vereinfacht werden, wie die Kernfunktionen immer noch im vollen Umfang gewährleistet sind.

  • Auswirkungen analysieren
    Welche Folgen würden geplante Vereinfachungen für die praktische Arbeit haben? Die Wechselwirkungen von Strukturen sind nicht immer auf den ersten Blick ersichtlich. Es kann hilfreich sein, konkrete Szenarien durchzuspielen.

  • Mitarbeiter, Kunden und Experten einbeziehen
    Nicht nur die Mitarbeitenden, sondern auch die Kunden wissen manchmal sehr genau, was sie stört und worauf sie umgekehrt auf keinen Fall verzichten möchten. Vereinfachung erhöht im Idealfall die Zufriedenheit aller Stakeholder.

Alles sollte so einfach wie möglich gemacht werden. Aber nicht einfacher.

Albert Einstein

Vereinfachung einfach angehen

Es ist schon angeklungen: Der Wunsch nach Vereinfachung hat durchaus das Potenzial, Dinge erst recht kompliziert zu machen. Monatelange Nabelschau, verbissene Strukturdiskussionen, lähmend komplexer Umbau von Prozessen und Hierarchien – diese Formen von Vereinfachung schaffen mehr Probleme, als sie lösen. Auch die Schaffung neuer Stabsstellen mit dem Aufgabenbereich „Vereinfachung“ ist nicht der Weisheit letzter Schluss: Auch eine Entbürokratisierungsbürokratie ist eine Bürokratie.

Eines ist klar: Auch Vereinfachung schafft zunächst einmal neue Reibungspunkte. Routinen werden durchbrochen, neue Verfahren müssen gelernt werden, Zuständigkeiten werden umgestellt, alle Beteiligten betreten Neuland. Wie lassen sich solche Veränderungen möglichst einfach einleiten?

Auf den großen Wurf verzichten

Die Wunschvorstellung, das Unternehmen in einem großen genialen Wurf umzubauen und alles radikal zu vereinfachen, führt in die Irre. Der Aufwand an Zeit und Ressourcen steht vermutlich in keinem Verhältnis zum Erfolg, allein schon deswegen nicht, weil die Umwelt nicht wartet, bis solche Großreformen endlich umgesetzt sind. Es sind die vielen kleinen Schritte, die uns voranbringen – Stichwort Agilität.

Startpunkt schaffen: Warum wollen wir vereinfachen? Was stört uns?

Am Anfang steht die Motivation. Die Menschen im Unternehmen, in der Abteilung, im Büro können sich zunächst bewusst machen, inwieweit Vereinfachung ihre Arbeit erleichtern und verbessern kann: Was wollen wir erreichen – und was wollen wir nicht mehr?

Verbessern statt neu schaffen

Es ist leichter, bestehende Prozesse zu verbessern, als Strukturen neu zu schaffen. Was an bestehenden Prozessen störend wirkt, ist schon bekannt und kann gezielt optimiert werden. Die Schwachstellen von Strukturen, die erst geschaffen werden sollen, werden sich im Laufe der Zeit erst herausstellen.

Klare Richtlinien statt aufwendige Einzelfallabstimmungen

Regeln und Richtlinien können Entscheidungen deutlich vereinfachen. Wenn vorher festgelegt ist, wie ein Unternehmen oder eine Abteilung in bestimmten vordefinierten Situationen reagieren will, werden viele Abstimmungsrunden überflüssig.

Eigenverantwortung statt Integration vieler Mitentscheider

Wenn Entscheidungsbefugnisse dezentralisiert sind, brauchen weniger Personen oder Stellen im Unternehmen in die Entscheidungsfindung integriert zu werden. Prozesse lassen sich so oft deutlich beschleunigen. Voraussetzung sind zum einen gute Entscheidungsrichtlinien. Zum anderen muss sichergestellt sein, dass die Mitarbeitenden auf die Wahrnehmung dieser Eigenverantwortung gut vorbereitet sind.

Die Verheißung der KI

Wann immer heute über Vereinfachung nachgedacht wird, kommt die Rede bald auf Künstliche Intelligenz. KI kann Unternehmen das Leben grundsätzlich auf zweierlei Art einfacher machen. Sie kann zum einen Routineaufgaben automatisieren; dadurch werden Menschen entlastet, die sich dann auf neue Herausforderungen konzentrieren können. Die zweite Stärke der KI neben der Automatisierung ist die Analyse großer Datenmengen; sie kann etwa Ressourcenverschwendung in Betriebsabläufen aufdecken, Angebote auf Kunden zuschneiden oder Mitarbeiter in Echtzeit mit genau den Informationen versorgen, die sie für eine bestimmte Aufgabe brauchen.  Jan Navel von der Digitalisierungsagentur Matchplan listet zehn Bereiche auf, in der KI Arbeit vereinfachen kann. Der Weg zur Nutzung von KI zur Vereinfachung führt in der Regel über spezialisierte Tools, die auf das Unternehmen zugeschnitten werden.

KI-Chatbots wie ChatGPT als Brainstormhilfe bei der Suche nach Ideen zu verwenden, ist dagegen noch ziemlich mühsam: Wenn man sie nicht mit sehr spezifischen Informationen füttert, bleiben die Ratschläge oft zu allgemein, um nützlich zu sein („Setzen Sie sich mit Ihren Mitarbeitern zusammen und finden Sie heraus, was Sie bei Ihrer Arbeit behindert.“) Besser sind die Ergebnisse, wenn man ein Problem anhand eines Beispielszenarios möglichst konkret schildert. Das Geschäft von Coaches und Unternehmensberatungen ist hier aber derzeit von KI noch nicht bedroht.

Kultur der Einfachheit – einfach mal machen

Vielleicht ist dies der wichtigste Ansatz zur Vereinfachung: einfach mal irgendwo anfangen. Der Perfektionismus, der alle Veränderungsmaßnahmen erst aufs Genaueste durchkalkulieren will, ist mit dem Ziel der Einfachheit nicht zu vereinbaren. Vereinfachung ist auch ein mindset.

Nicht durch Absicherungsdenken und minutiöses Ausplanen von Eventualitäten kann den Unsicherheiten der Unternehmensumwelt begegnet werden. In der VUCA-Welt bewährt sich pragmatisches Entscheiden, das beim Auftreten neuer Umstände bereit ist, zügig den Kurs zu korrigieren. Diese Art von Flexibilität verlangt eine Kultur der Einfachheit: einfach mal machen – und dann den nächsten Schritt gehen.


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