Digitalisierung & Technologie, 6. Februar 2025

Der evolutionäre Weg zum autonomen Auto

Deutsche Hersteller setzen sichere Maßstäbe

Autobahn Verkehr

Die Entwicklung der Automobilbranche wird seit einiger Zeit in den öffentlichen Diskussionen über die Elektrifizierung bestimmt. Die deutschen Autohersteller hätten die Entwicklung der E-Autos verschlafen, sagen die einen. Die anderen wünschen sich weiterhin eine Zukunft für Verbrennungsmotoren. Dabei ist ein Entwicklungsbereich etwas in Vergessenheit geraten, bei dem die deutschen Hersteller weiterhin führend sind: Autonomes Fahren.

In Bezug auf die Zukunft der individuellen Mobilität diskutieren wir über Reichweiten, Ladeinfrastruktur und billige E-Autos aus China, die die marktbeherrschende Stellung der deutschen Hersteller bedrohen. Dabei ist der Antrieb eigentlich nur ein Randaspekt, wenn es wirklich um die Zukunft des Automobils geht. Viel wesentlicher als die Elektrifizierung der Motoren ist die technologische Digitalisierung der gesamten Fahrzeuge hin zu selbstfahrenden, autonomen Autos.

Und da gibt es eine gute Nachricht für die angeschlagenen deutschen Autokonzerne: Sie sind in vielen Bereichen führend!

Intelligente Assistenzsysteme sind erst der Anfang

Der Weg zum vollkommen automatisierten Fahrzeug, bei dem der Mensch nur noch Passagier sein darf, ist noch lang. Bis zum Level 5 (vergl. Infobox), sind noch mehrere wichtige Etappen zu bewältigen, die einige Herausforderungen mit sich bringen. Dennoch ist das autonome Fahren keine Utopie mehr, wie einige Meilensteine zeigen (vgl. Infobox), die deutsche Hersteller bereits erreicht haben.

Zudem sorgt die Digitalisierung in Kombination mit Künstlicher Intelligenz für eine neue Entwicklungsdynamik aufseiten der Technologie. Es wird sich zeigen, ob die gesellschaftspolitische Diskussion und die rechtlichen Rahmenbedingungen bei diesem Tempo mithalten können. Für die gesellschaftliche Akzeptanz sind die bisherigen Entwicklungen intelligenter Assistenten sehr bedeutsam. Sie zeigen, dass das Autofahren in der Zukunft sicherer und gleichzeitig komfortabler sein kann.

Die Zahl der intelligenten Assistenzsysteme steigt seit Jahren kontinuierlich, und sie ebnen damit langsam, aber beständig den Weg zum autonomen Fahren. Längst sind sie nicht mehr nur kostspielige Sonderausstattungen, sondern zum Teil bei Neuzulassungen sogar Pflicht. Seit Juli 2024 müssen Neu-Pkw mit folgenden Systemen ausgestattet sein:

  • Notbremsassistent
  • Notfall-Spurhalteassistent
  • Müdigkeitserkennung
  • Intelligenter Geschwindigkeitsassistent (ISA)
  • Rückfahrassistent
  • Notbremslicht
  • Unfalldatenspeicher (Blackbox)

An der Art der Pflicht-Assistenten lässt sich gut erkennen, dass es dem Gesetzgeber vorrangig um mehr Sicherheit beim Fahren geht. Sie unterstützen den Menschen am Lenkrad durch den Einsatz von Sensortechnologie und Künstlicher Intelligenz. Autos werden so zu fahrenden Computern.

Die fünf Stufen zum autonomen Fahren

Level 1: Assistierter Modus
Der Fahrer hat ständig die Kontrolle und ist jederzeit verantwortlich, Assistenzsysteme unterstützen bei bestimmten Aufgaben (z. B. Tempomat, Spurhalteassistent, Abstandsregelung …)
Aktueller Stand: wird bereits praktisch eingesetzt

Level 2: Assistierter Modus
Teilautomatisierung, Assistenzsysteme übernehmen bestimmte Funktionen (z. B.: Beschleunigen, Abbremsen, Spurhalten, Einparken …) während der Fahrer sie überwacht.
Aktueller Stand: wird bereits praktisch eingesetzt

Level 3: Automatisierter Modus
In definierten Anwendungsfällen übernehmen Assistenzsysteme die Funktionen, der Fahrer muss sie nicht überwachen und kann sich mit anderen Tätigkeiten beschäftigen.
Aktueller Stand: wird praktisch erprobt

Level 4: Vollautomatisierung
Der Fahrer kann die Kontrolle komplett an das System abgeben und wird zum Passagier. Das Auto ist komplett selbstständig und kann auch ohne Menschen fahren.
Aktueller Stand: bis jetzt nicht entwickelt

Level 5: Autonomes Fahren
Es ist kein Fahrer mehr vorgesehen, die Fahrzeuge sind komplett autonom unterwegs und befördern Passagiere.
Stand: bis jetzt nicht entwickelt

Evolution vs. Disruption

Für die Entwicklung von Innovationen gibt es generell verschiedene Herangehensweisen. Die klassische Form der Innovation ist eine schrittweise Weiterentwicklung. Wir kennen das auch als natürliche Evolution. Dem gegenüber steht die radikale Umgestaltung in Form einer Disruption, die man auch als Revolution beschreiben könnte.

Diese beiden Herangehensweisen finden wir auch im Automobilsektor. Während die traditionellen Autohersteller wie Volkswagen, Mercedes oder BMW mit ihrer jahrzehntelangen Erfahrung auf eine schrittweise Evolution setzen, versuchen Quereinsteiger wie beispielsweise Tesla den Markt disruptiv zu verändern. Das trifft sowohl auf die Elektrifizierung als auch auf die Autonomisierung zu.

Beide Ansätze haben Vor- und Nachteile. Beim Entwicklungstempo liegt der disruptive Ansatz vorn, bei der Sicherheit die schrittweise Evolution. Die Erfahrung hilft den traditionellen Herstellern, die Newcomer haben dafür keine Altlasten, die sie ausbremsen könnten. Letztlich gibt es keine falsche und keine richtige Herangehensweise auf dem Weg zum gleichen Ziel. Neue Hersteller können den Erfahrungsrückstand gar nicht aufholen, während die traditionellen Hersteller nicht einfach von null anfangen können.

Einen gewissen Vorteil haben die erfahrenen Hersteller aber doch: Die wichtigste Anforderung an das autonome Fahren ist Sicherheit. Und das spricht eher für den evolutionären Ansatz.

Meilensteine deutscher Hersteller

Mercedes: Seit Mai 2022 werden erstmals Fahrzeuge mit einem Assistenten auf Level 3 angeboten. Der „Drive Pilot“ kann die gesamte Fahrtätigkeit übernehmen, wenn die Fahrgeschwindigkeit 60 km/h nicht überschreitet und sich das Fahrzeug auf einer deutschen Autobahn bewegt. Für die nötige Freigabe sorgte eine redundante Systemarchitektur, die aus rund 30 Sensoren besteht, darunter Kamera-, Radar- und Ultraschallsensoren, LiDAR, Mikrofone sowie ein satellitengestütztes Positionierungssystem. Mit einem Update soll Drive Pilot Ende 2024 auch für Geschwindigkeiten bis 95 km/h ausgelegt werden. Bis 2030 soll dann die finale Ausbaustufe mit der Autobahn-Richtgeschwindigkeit von 130 km/h entwickelt sein.

BMW: Seit März 2024 verfügt BMW ebenfalls über eine Level-3-Zulassung für Deutschland. Der „Personal Pilot L3“. Das System arbeitet mit einem Sensorpaket aus Kameras, Ultraschall- und Radarsensoren und einem hochempfindlichen 3D-Lidarsensor. Außerdem erlaubt der „Autobahnassistent“ (Level 2) Geschwindigkeiten von bis zu 130 km/h. Die Genehmigung für diese Kombination aus Level 2 & 3 erhielt BMW weltweit als erster Hersteller.

Ausblick: Wie geht die Entwicklung weiter?

Die beiden höchsten Stufen der autonomen Fahrzeuge, die auch in komplexen Situationen komplett ohne menschliche Führung und Kontrolle auskommen sollen, sind bislang bisher nicht vollständig entwickelt. Zwar gibt es bereits erste Fahrzeuge, die vollkommen autonom agieren können, doch das nur in streng definierten Szenarien. In der Wirklichkeit sind dagegen so viele verschiedene und zum Teil hochkomplexe Parameter zu berücksichtigen, dass die technischen Systeme noch überfordert sind. Hier einige Parameter, die ein autonomes Fahrzeug berücksichtigen muss:

  • Strukturelle Verkehrssituation: Fahrbahn, Verkehrszeichen, Kreuzungen, Ampeln
  • Dynamische Verkehrssituation: andere Fahrzeuge, Radfahrer, Fußgänger
  • Handlungsparameter: Beschleunigen, Bremsen, Lenken

Allein diese zehn Parameter ergeben für das autonome Fahren eine Vielzahl hochkomplexer Szenarien, die alle getestet und im praktischen Alltag mit höchster Sicherheit gelöst werden müssen. Eine besondere Rolle spielen jene Parameter, die einem menschlichen Einfluss unterliegen, wie das Verhalten anderer Fahrzeuge.

Dazu ein Blick auf die Unfallstatistik im deutschen Autoverkehr. Auf dem ersten Platz liegen „Fehler beim Abbiegen, Wenden, Rückwärtsfahren, Ein- und Anfahren“, danach folgt „Nichtbeachten der Vorfahrt“. Autonome Fahrzeuge könnten dieses Fehlverhalten zwar stark reduzieren, aber gegen eine Vorfahrtnahme anderer Fahrzeuge wären sie im Zweifel auch machtlos.

Bei den strukturellen Verkehrsparametern sind die Autohersteller zudem auf Bund, Länder und Kommunen angewiesen, die sie mit infrastrukturellen Anpassungen unterstützen können. Ein wichtiges Projekt ist hier C-Roads, in dem Behörden und Straßenbetreiber die Einführung, Erprobung und Harmonisierung von kooperativen intelligenten Verkehrssystemen und Diensten (C-ITS) auf europäischen Straßen vorantreiben.

Diese Art der Zusammenarbeit könnte eine Blaupause für die Hersteller autonomer Fahrzeuge darstellen. Mit gemeinsamen Standards könnten sich (teil-)autonome Fahrzeuge untereinander optimal verständigen und zu einem Gesamtsystem verschmelzen. Das würde mit jedem zusätzlichen Teilnehmer die Komplexität weiter reduzieren und die Sicherheit drastisch erhöhen.

Text: Falk Hedeman


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