Einfach, weil's wichtig ist.
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Digitalisierung & Technologie, 04. Oktober 2024
Künstliche Intelligenz (KI) verspricht auch in der Medizin bahnbrechende Fortschritte. In diesem Artikel widmen wir uns der Frage, wie sie bereits heute und in Zukunft zur Früherkennung, Diagnose und Behandlung von Demenzerkrankungen eingesetzt wird. Während KI enorme Potenziale bietet, warnen einige Experten vor möglichen Gefahren. Wir nehmen die Chancen und Herausforderungen unter die Lupe.
Etwa 1,8 Millionen Menschen in Deutschland leiden an Demenz. In einer alternden Gesellschaft werden die Ausmaße des Problems immer größer: Für das Jahr 2050 rechnen Prognosen mit 2,8 Millionen Betroffenen. Spätestens seit der ersten dokumentierten Beschreibung der Alzheimer-Krankheit im Jahr 1901 ist die Altersvergesslichkeit Gegenstand medizinischer Forschung und Therapie.
In den letzten Jahrzehnten gab es verstärkt Bemühungen, von der Ursachenforschung zu effektiveren Behandlungsformen vorzustoßen. Dabei ist immer deutlicher geworden, wie wichtig eine frühzeitige Diagnose für die Therapie demenzverursachender Krankheiten ist. Altersdemenz ist nicht heilbar, ihr Fortschreiten kann aber abgebremst werden. Je früher die Behandlung beginnt, desto mehr Lebensqualität kann sie bewahren.
Existierende KI-Algorithmen haben zwei spezifische Stärken, die sie für die Demenzforschung und Demenztherapie interessant machen. Zum einen kann KI große Datenmengen analysieren, wobei die Analyse-Ergebnisse mit fortschreitender Dauer tendenziell besser werden. Sie vermag daher Forschungsprojekte, die umfangreiche und komplexe Patientendaten auswerten, dramatisch zu beschleunigen. Zum anderen kann KI lernen, mit Menschen zu interagieren: Sie kommuniziert und passt Kommunikationsinhalte an das Verhalten des menschlichen Gegenübers an. Das macht sie interessant für die Unterstützung von Therapieformen, bei denen Kommunikation im Mittelpunkt steht.
Forschungsinstitute haben Zugang zu umfangreichen Patientendaten sehr verschiedener Art. Viele dieser Daten enthalten Hinweise auf beginnende Demenzerkrankungen oder auf Risikofaktoren. Diese Hinweise sind aber oft so versteckt oder vage, dass auch fachlich hochqualifizierte Menschen sie übersehen oder falsch deuten. Hier kann KI helfen. Mittlerweile gibt es in verschiedenen Ländern Projekte, die ihre Datensätze von künstlicher Intelligenz analysieren lassen. Einige Beispiele:
Das Grundprinzip dieser und anderer Projekte ist meist ähnlich: Die KI scannt einen Datenpool und ermittelt Datenanomalien, die für bestimmte Symptome oder Krankheiten typisch sind. Bei Patientenuntersuchungen wird dann geprüft, ob es bei diesem Menschen Hinweise auf eine typische Anomalie gibt, vielleicht auch nur in einer sehr geringen Ausprägung – was auf eine beginnende Demenz in sehr frühem Stadium hinweisen könnte.
Die frühzeitige Diagnose von Demenz verschafft den Patienten Zeit für Therapien, die die geistigen Fähigkeiten möglichst lange erhalten sollen. Auch hier kann künstliche Intelligenz unterstützen. Ihre Lern- und Anpassungsfähigkeit kann für die Entwicklung personalisierter Therapien genutzt werden.
Ein Projekt an der Hochschule Hamm-Lippstadt zum Beispiel entwickelt Algorithmen zur Unterstützung von kognitiver Stimulationstherapie, konkret bei mit Demenz verbundenem Hörverlust. Bei dieser Therapieform werden die Patienten zu Aktivitäten ermuntert und angeleitet, die die kognitiven und sozialen Fähigkeiten trainieren. KI analysiert zunächst gesammelte Patientendaten und überführt diese in ein Trainingsprogramm. Der Algorithmus testet dann aus, welche Aktionen von einem konkreten Patienten tatsächlich erfolgreich durchgeführt werden können, und passt das Trainingslevel daraufhin individuell an. Dabei lernt die KI allmählich, welche Aktionen bei diesem Patienten zu positiven Ergebnissen führen und welche nicht. Kontinuierliche Analyse anfallender Daten ermöglicht eine Art Supervision der Therapie.
Zwischen Demenztherapien und nicht-medizinischen Maßnahmen, die im Alltag die Lebensqualität von Demenzkranken verbessern möchten, ist der Übergang fließend. Der Dementia VoiceBot, der an der Universität Cottbus entwickelt wird, soll mit Patienten telefonieren, um ihre Kommunikationsfähigkeit zu trainieren. Auch über den Trainingseffekt hinaus können KI-Instanzen, die sozialen Umgang simulieren und Kommunikationssituationen nachstellen, das Wohlbefinden von Kranken steigern. Ein großes Problem bei Demenz ist die Einsamkeit, die unter anderem dadurch entsteht, dass Kranke mit anderen Menschen nicht mehr zufriedenstellend kommunizieren können. KI-Instanzen dagegen können sich an das Kommunikationsniveau und die Bedürfnisse von Patienten anpassen; sie werden weder ungeduldig noch stellen sie Ansprüche, die ihre Gesprächspartner nicht (mehr) erfüllen können.
Die University of New South Wales in Australien testet daher einen „Digital Companion” – eine KI-Videopersönlichkeit, die ähnlich wie in einem Video-Telefonat mit Demenzkranken Alltagsgespräche führt.
Der vorerst letzte Schritt ist der KI-gesteuerte Roboter. Seit über einem Jahrzehnt schon versuchen Firmen in Japan humanoide Roboter als Alltagshilfe und Gesellschafter für einsame Menschen zu vermarkten. Der Lovot von Groove X zum Beispiel wurde auch mit Blick auf ältere Menschen entwickelt. Er lernt, sich in einer Wohnung sicher zu bewegen und auf Gefühlsäußerungen seines Besitzers passend zu reagieren – gewissermaßen simuliert er Verhaltensweisen eines Haustiers. Per App kann aus der Ferne auf die Kamera zugegriffen werden – Betreuungspersonen können auf diese Weise bei einem alleinlebenden Menschen nach dem Rechten sehen.
Auf die Bedürfnisse Demenzkranker zugeschnitten ist der Roboter QT, der an der Universität von Indiana erprobt wird. QT führt Gespräche und passt sich dem Niveau des Gegenübers an. In Zukunft könnten solche Roboter in begrenztem Maße die Rolle von Therapeuten übernehmen: Je größer die Zahl unter Demenz leidender Menschen wird, desto schwieriger wird es, genug menschliche Therapeuten auszubilden. Vielleicht könnten Roboter für die weniger anspruchsvollen Aufgaben diese Lücke füllen.
Ist das alles der Ausblick in eine vielversprechende Zukunft oder birgt der Einsatz von KI bei Demenz auch erhebliche Risiken? Tatsächlich gibt ernstzunehmende Kritik an der Nutzung.
Wenn wir KI als vielversprechenden Motor für eine verbesserte medizinische Diagnostik und Versorgung nutzen wollen, müssen wir auf all diese Einbehalte Antworten finden.
Von Alexa Brandt und Thorsten Kleinschmidt
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