Digitalisierung & Technologie, 12. November 2024

KI und Diabetes: Smarte Allianz mit Potenzial

Prävention und Kontrolle im Fokus

KI bei Diagnose und Behandlung von Diabetes

Diabetes stellt weltweit eine der größten gesundheitlichen Herausforderungen dar. Trotz erheblicher Fortschritte in der Versorgung steigen die Fallzahlen. Prognosen zufolge könnte die Anzahl der Diabetiker bis 2050 auf etwa 1,3 Milliarden steigen. Allein in Deutschland leiden derzeit über acht Millionen Menschen an Diabetes. Um diese besorgniserregende Entwicklung zu stoppen, setzen Wissenschaftler vermehrt auf neueste Technologien. Sie entwickeln präventive und innovative Ansätze zur Früherkennung und Therapie. Im Folgenden zeigen wir, wie KI die Prognose positiv beeinflussen kann und welche neuen Möglichkeiten sich ergeben.

Diabetes fordert die Betroffenen täglich heraus. Plötzliche Blutzuckerschwankungen und die Sorge vor Unterzuckerung bedeuten ständige Aufmerksamkeit, Planung und meist auch eine subtile Unsicherheit im Alltag. Neueste Entwicklungen auf der Grundlage künstlicher Intelligenz (KI) bieten vielversprechende Ansätze im täglichen Diabetes-Management – sei es durch smarte Anwendungen, die die optimale Insulindosis berechnen, oder Überwachungssysteme, die Symptome erkennen, bevor sie dramatische Auswirkungen zeigen, wie zum Beispiel eine beginnende Unterzuckerung beim Autofahren.

Frühzeitige Diagnose durch Deep-Learning-Modelle

Die ersten Anzeichen von Diabetes sind oft subtil und je nach Typ unterschiedlich. Bei Typ-1-Diabetes treten Symptome wie starker Durst oder häufiges Wasserlassen plötzlich auf. Typ-2-Diabetes entwickelt sich hingegen schleichend. Frühwarnzeichen wie Müdigkeit, Sehstörungen oder schlecht heilende Wunden bleiben oft unbemerkt.

KI-basierte Verfahren zur Gesundheitsdaten-Analyse könnten das Risiko einer Erkrankung frühzeitig erkennen und gegensteuern. Eine Studie aus dem Jahr 2023 legt dies nahe.

Während die klassischen Maschine Learning-Modelle oft nur einzelne Werte zu einem bestimmten Zeitpunkt betrachten, können Deep-Learning-Ansätze kontinuierliche Veränderungen – wie etwa langfristig erhöhte Blutzuckerwerte – einbeziehen. Dadurch lassen sich Risiken genauer einschätzen.

Diabetes mittels Stimm- oder Hautanalyse bestimmen

So haben kanadische Forscher eine KI entwickelt, die statt über die Blutwerte Diabetes anhand der Stimme erkennen kann. Die Krankheit verursacht schon früh Veränderungen im Klangbild. Diese nimmt unser Gehör nicht wahr, die KI aber schon. Forschende vermuten, dass die Blutzuckerkonzentration mit den elastischen Eigenschaften der Stimmbänder in Verbindung steht.

Ein weiteres KI-basiertes Verfahren zur Früherkennung von Diabetes wurde von Forschenden der Technischen Universität München (TUM) und Helmholtz Munich entwickelt. Es kombiniert optische und akustische Prinzipien, um ein detailliertes Bild der Haut zu erstellen. Die RSOM-Methode (Raster-Scan Optoacoustic Mesoscopy) zeigt, dass Diabetes die Blutgefäße in verschiedenen Hautschichten unterschiedlich beeinflusst. Mithilfe von KI identifizierte 32 spezifische Merkmale erlauben eine genaue Bestimmung des Krankheitsfortschritts. Ein Vorteil dieses Verfahrens: Die Diagnose erfolgt schnell und die Überwachung kann ohne Blutabnahmen durchgeführt werden.

Wertvolle Hilfestellung im Alltag von Diabetes-Typ-1-Betroffenen

Ein engmaschiges Monitoring mittels datengestützter Systeme ist für Patientinnen und Patienten mit Diabetes Typ 1 entscheidend. Es ermöglicht individuelle Anpassungen in Echtzeit und hilft, Komplikationen zu vermeiden Diabetes Management App Daily Dose ist ein Beispiel dafür. Sie unterstützt Betroffene bei der täglichen Insulingabe und bietet rund um die Uhr mehr Kontrolle über die Krankheit. Die App gibt zudem Ernährungstipps und hilft, Hyperglykämie zu vermeiden. Bei Hinweis auf stark abfallende Blutzuckerwerte über Nacht können Betroffene rechtzeitig reagieren. Dies entlastet betroffene Personen enorm, die bisher um Unterzuckerung während der Nacht fürchteten. Die erforderlichen Daten werden durch einen Smart Insulin Pen erhoben und im System abgeglichen. Insgesamt sind in der App drei Maschine Learning Algorithmen intergiert, die gemeinsam dafür sorgen, dass die Anwenderinnen und Anwender richtige und wichtige Entscheidungen für ihre Insulingaben treffen können. Ein ähnlich personalisiertes Gesundheitsmanagement bietet die App Diafyt. Auch sie ermittelt mittels Connected Pen den individuellen Insulinbedarf und gibt eine Dosierungsempfehlung. Die App führt dabei nicht nur verschiedene Aktivitäts- und Vitaldaten zusammen. Sie „lernt“ überdies aus vergangenen Werten und verhilft auf dieser Basis zu stabilen Blutzuckerwerten.

Lebensstil und Prävention bei Typ-2-Diabetes

Genetische Faktoren, ungesunde Ernährung und Lebensweise zählen zu den Hauptgründen für die Entstehung von Diabetes Typ 2. Oft sorgt eine Kombination dieser Faktoren für das Auftreten der Krankheit. Übergewicht, Bewegungsmangel, Erbmerkmale und Rauchen beeinflussen den Insulinhaushalt negativ. Eine gesündere Lebensweise und Gewichtsreduktion können die Erkrankung verbessern oder sogar umkehren. Auch an Diabetes mellitus vom Typ 2 betroffene Menschen profitieren bereits von Apps. Ein Beispiel: die digitale Gesundheitsanwendung Glucura, eine Art Diabetes Coach für die Hosentasche. Sie bietet personalisierte Tipps zu Ernährung, Bewegung und Gewichtsreduktion. Mit diesen Ansätzen arbeiten Betroffene aktiv an der Wiederherstellung ihrer Gesundheit und stabilisieren ihren Blutzucker langfristig. In der Kennenlernphase trägt man einen Glukosesensor am Arm und führt ein Tagebuch zum Ess- und Bewegungsverhalten in der App. Anschließend gibt die dahinterliegende KI kontinuierlich Rückmeldungen als persönlicher Coach. 

Wird KI helfen, Diabetes zu heilen?

Eine KI-gestützte Diabetes-Forschung ist schon heute weit mehr als reine Zukunftsmusik. Ein Beispiel ist das gerade erst ausgezeichnete Projekt für Forschende von Helmholtz Munich. Es zielt darauf ab, durch das Zusammenspiel von KI und Stammzellbiologie neue Wege für die Therapien von Typ-1-Diabetes zu finden.

Tatsächlich gibt es für Typ-1-Diabetes aus dem Bereich der Stammzellenforschung bereits einen vielversprechenden Ansatz. Dieser könnte Patienten möglicherweise in Zukunft heilen. Die VX-880-Therapie basiert auf insulinproduzierenden Inselzellen, die im Labor aus Stammzellen gezüchtet und direkt in die Leberpfortader der Teilnehmenden infundiert werden. So kann die natürliche Produktion von Insulin wiederhergestellt werden. Die bisherigen Studienergebnisse sind vielversprechend: Sieben von insgesamt zwölf Teilnehmenden benötigten nach 180 Tagen kein tägliches Insulin mehr. Zwei Teilnehmende konnten ihren Insulinbedarf um 70 Prozent reduzieren, ein Teilnehmer benötigt 24 Prozent weniger Insulin. Wie die kommenden Tests ausfallen werden, muss sich jedoch noch zeigen. Zwar gibt es keine expliziten Hinweise darauf, dass im Projekt Künstliche Intelligenz zum Einsatz kommt. KI-gestützte Verfahren in der Stammzellenforschung dürften aber zunehmen. Sie helfen, Zelltypen präzise zu identifizieren und zu isolieren.

Digitale Zwillinge in der Diabetesbehandlung

Digitale Abbilder in der Städteplanung, im Bau oder auch zur Bewahrung von Kulturgütern sind längst Realität. Auch in der Medizin könnten sie an Relevanz gewinnen, besonders in der Diabetesversorgung wichtiger werden. Der digitale Zwilling eines Menschen simuliert individuelle Gesundheitsdaten virtuell. Das könnte helfen, Risiken wie Unter- oder Überzuckerungen noch schneller zu erkennen und Therapien noch individueller anzupassen. Immerhin 72 Prozent der Befragten Diabetespatientinnen und -patienten würden laut einer PwC-Studie den Einsatz eines digitalen Doppelgängers befürworten.

Trotz der hohen Akzeptanz in der Umfrage bleibt die Datensicherheit ein zentrales Anliegen. 89 Prozent der Befragten verlangen klare Datenschutzregelungen, bevor die Technologie angewendet wird. Zudem steht die Frage im Raum, wer die entstehenden Kosten trägt.

Fest steht jedoch: Ein verbessertes Diabetes-Management durch fortschreitende KI-Technologie könnte langfristig sowohl für die Betroffenen als auch für unser derzeit anfälliges Gesundheitssystem von Vorteil sein.

Text: Alexa Brandt
 

Serie: KI und Volkskrankheiten

Künstliche Intelligenz (KI) verspricht auch in der Medizin bahnbrechende Fortschritte. Wie gehen der Frage nach, welchen Einfluss KI auf Prävention und Behandlung der großen Volkskrankheiten hat.

 

Teil 1: KI bei Diagnose und Behandlung von Demenz

Teil 2: KI und Diabetes: Smarte Allianz mit Potenzial

Teil 3: Künstliche Intelligenz in der Krebstherapie

Teil 4: Der Einsatz von KI bei psychischen Erkrankungen


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